56,3° Im Schatten
Biersäufer sauer auf. Biersäufer hat zudem noch die Ansprache vom Chef vom Ganzen zur Lage der Nation im Ohr: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, ein langes Leben sei ihm nicht beschieden. Also was tut er? Er schiebt dem Abweichler seine Trompete in die Gurgel hinein, weil das Klavier, Krone des Abweichlertums, dafür zu groß war. Conclusio: Es war ein politischer Mord, wie er im Buche steht.“
„Da wette ich tausend weiße Rosen, dass das kein politischer Mord war! Und überhaupt: Was soll denn das bitte sein, ein politischer Mord?“
Kaum hat es ihm die Roswitha erklärt und noch dreimal „politischer Mord“ gesagt, läutet auch schon das elfenbeinfarbene Telefon am Nachtkästchen vom Weiß Ferdl, und der Biermösel weiß sofort, wer das wieder sein wird:
„Biermösel, da ist dein Innenminister persönlich, und jetzt pass einmal auf: Nur damit wir das wieder einmal von vorne bis hinten durchgehen, was ein politischer Mord in einem Unrechtsregime ist, und nur damit du ein paar Anhaltspunkte mehr hast, wer dafür infrage kommt: Sozialsten, Homosexuelle, Psychologen und Umweltschützer aus dem linken Lager, dazu Haschtrafikanten. Oder glaubst du vielleicht, ein anderer wäre imstande, unseren einheimischen Weiß Ferdl zu ermorden!“
Na bumsti, denkt sich der Biermösel, woher weiß denn der schon wieder, dass der Ferdl ermordet worden ist, und woher kann er wissen, dass er jetzt beim Ferdl ist? So was kennt er doch sonst nur aus den Jason-Castelli-Hefterln, wo das Drecksregime mit seinen Kameras und Abhörmikrofonen den ganzen Unrechtsstaat im Griff hat, wird doch nicht die saftige Heimat auch schon so weit sein?
„Du hast ja überhaupt keine Ahnung, wie weit wir schon sind, du Zwutschkerl!“, kann der Innenminister sogar aus der Ferne die Gedanken vom Biermösel lesen und seine Fragen beantworten, so weit ist er schon. Aber dann lenkt er seine Aufmerksamkeit wieder auf den politischen Mord: „Und vergiss mir die Kommunisten nicht! Du meine Güte, schön langsam krieg ich wirklich einen Heißhunger auf die Kommunisten, die unsere Müllarbeiter jetzt schon flächendeckend zum Streik anhalten. Außerdem sind die gefüllten Paprika von meiner Mutti bei der Hitze ja wirklich nicht das Richtige! Und jetzt bring uns den Kopf vom Mörder vom Weiß Ferdl, aber flott, nächste Woche sind Wahlen, da können wir den politischen Mord für uns instrumentalisieren, sag einmal, Biermösel, hast du überhaupt schon einen Luftballon von uns gekriegt mit dem ganzen Wahlprogramm drauf, oder sollen wir dir lieber ein Feuerzeug schicken mit dem ganzen Wahlprogramm drauf, also Luftballon oder Feuerzeug? Und nimm endlich den Daumen aus dem Mund!“
Na bumsti, denkt sich der Biermösel, und es beschleicht ihn die unbestimmte Angst, dass die ihn während der letzten 35 Jahre im Dienst sogar beim Scheißen gefilmt haben und genau wissen, wie viele Haare ihm am Arsch wachsen. Und dass nicht der Jason Castelli in einer Bananenrepublik mit einem Schurkensystem ermittelt, sondern er selbst.
„Hilfe!“
Dead or alive
„Roswitha, gehst du jetzt bitte in sein Schlafzimmer hinein und holst die Überbringer-Sparbücher, unsere Verwandtschaft muss ja eher zu viel Geld verdient haben als zu wenig mit seinem dauernden ,Schö Tem‘!“
Während die Roswitha dann alles zusammensucht, was unter den zurückgebliebenen Familienmitgliedern nach dem tragischen Ableben vom kleinen Bruder aufgeteilt werden muss („Vergiss das Bargeld nicht!“), legt sich der Biermösel noch für ein paar Minuten mit seinem Freund Joe in die Hängematte auf den Balkon hinaus, und was er dann dort unten im Tal sehen kann, das ist wirklich herrlich, einmalig, gigantisch ist das – alles brennt und glüht, alles stirbt und vergeht, und alles sein Werk!
Vor lauter Freude schmiegt sich der Biermösel noch näher an den Joe heran, und bald sieht er durch seine rosaroten Brillen überhaupt die Welt sich verdunkeln. Alles blubbert auf einmal ganz ordentlich, und die fett gewordene Mutter Erde nimmt endgültig Abschied von der Welt, weil sie sich – untreue Seele auch sie! – nicht mehr um die ganzen dreckigen Schweinderl kümmern mag, die auf ihr herumrennen, sondern lieber ihre Ruhe hat.
Nachdem sich der Biermösel mit dem Joe noch ein paarmal auf der Hängematte hin und her gedreht hat, sieht er dann endlich den neuen Morgen hinter dem Gebirgskamm aufsteigen, und er spürt den frischen Tau, der sich schon auf ihn draufgelegt hat, dann sieht er das neue
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