56,3° Im Schatten
verschwitzten Abenteuern im Dschungel noch sauber ist und sogar dann noch gut riecht, nachdem ihn am Ende immer die Weiber gerade aus der Fischsuppe herausgeholt haben, da hat es der Jason besser als er, der jetzt in Einsamkeit sterben will.
Aber irgendwo da draußen ist scheinbar doch noch Leben. Ein seltsam verwirrtes Wesen treibt sich da draußen herum, angeschlagen vom Sonnenstich, das abwechselnd „Bruder Jakob“ singt und dann wieder plus 56,3 ° im Schatten, 23. Juli 2004“ murmelt, das wäre nach ersten Berechnungen vom Biermösel drei Wochen her, oder sogar drei Jahre? Wem aber gehört die helle, fröhliche Stimme, zu wem das Klackern von Eiswürfeln.
„Biermösel! Steh auf!“, hört er sie sagen.
Der Biermösel dreht sein Gesicht zwischen seine Haxen und schaut auf einmal in die sanften Augen von der Anni, die hinter ihm steht und ihn jetzt so sieht, wie ihn nicht einmal seine Mutti jemals gesehen hat – komplett unwürdig, komplett verbrannt und – ja! – letztlich auch komplett entwässert, letztlich auch er.
Und die Anni? So schön ist sie noch immer, ganz weiß und ohne Flecken, kein Schweiß, keine Anstrengung, keine roten Wangen in ihrem Gesicht. Wie ein Engel schwebt sie daher, seine Anni, wie ein Engel. Und so wie sie daherkommt in ihrer Rot-Kreuz-Uniform, ist sie ihm letztlich sogar lieber als die ganzen kurzberockten Weiber, die am Schluss immer den Jason Castelli retten.
„Biermösel, steh auf!“
Er schließt die Augen und hofft, dass sie ihn nicht sehen kann. Aber das hat schon als Kind nicht funktioniert, wie er sich erinnern kann, wenn er die Augen geschlossen und gehofft hat, dass er jetzt doch nicht in der Selchkammer sitzt.
Sie kniet sich neben ihm nieder und beträufelt ihm seine trockene Zunge mit ein paar Tropfen Wasser, aber der Biermösel wehrt sich mit aller Gewalt dagegen und presst seine aufgesprungenen Lippen zusammen, wie der Igel stellt er die Stacheln auf, was so viel heißen soll wie:
Kein Wasser! Unter keinen Umständen Wasser!
Er ist sein Leben lang ohne ausgekommen, da wird er auch jetzt am Schluss keines brauchen.
Dann stellt er sich tot, damit er der Anni die Entscheidung erleichtert, ihn wiederzubeleben. Aber bitte nicht mit einer Herzmassage, sondern mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, in der sie der Doktor Kripser nicht umsonst geschult hat, wie der Biermösel sogleich merkt: Sie beugt sich über ihn und schiebt ihm mit aller Kraft ihre nasse, feuchte, glitschige Zunge in seinen Sprechkanal hinein und fuhrwerkt darin so lange herum, bis sich sein Kaktus wieder bewegen lässt und er ihrem Druck Gegendruck entgegensetzten kann, und dann kann man – wenn man wie er selbst fantasiebegabt ist – fast schon sagen, dass es sich bei dem Gerangel um einen richtigen Kuss handelt, Herrjemine, am Ende seiner Tage noch ein erster Kuss von der Anni, dass er das noch erleben darf! Und endlich kommt ihm über die Lippen, was ihm früher nie über die Lippen gekommen ist:
„Danke!“
Aber war es wirklich ihr erster Kuss?
Die Anni schneidet ihm die Kabelbinder durch, stellt ihn auf die Beine und zieht ihm die Hose hinauf. Dann nimmt sie ihn an der Hand und führt ihn weg.
Ihre Wanderung geht durch das verbrannte Land hinüber zur Straße der Sieger, wo mittlerweile alle Plakatständer mit dem Bildnis vom Chef vom Ganzen drauf umgeworfen sind, alle! Und unter einem schauen vier Haxen hervor, und zwei glashelle Stimmen schreien mit schwacher Brust: „Hilfe! Hilfe!“
„Bitte, Biermösel, hilf ihnen, sonst geht das nicht gut aus!“, sagt die Anni, und als der Biermösel die schwere Plakatwand hochhebt, sieht er zwei schwarz gewandete Terroristen mit schwarzen, löchrigen Punker-Strumpfhosen und Sexmasken, Nachahmer und Trittbrettfahrer eines der größten Terroristen der Welt, namentlich die Jennifer und die Manuela, die Zwillinge von der Anni, die wie zwei Nacktschnecken unterm Salat daliegen. Ein bisserl geplättet zwar, aber sonst ist noch alles dran an ihnen, auch das Widerständige und Depperte, „meine Güte, die sind ja so widerständig und depperte wie ich!“
„Die sind ja auch von dir, Biermösel!“, gesteht ihm die Anni endlich, „es sind ja deine zwei Mäderl.“
Und weiter: „Kannst du dich denn gar nicht mehr erinnern an die eine Minute dreißig in deinem Leben, in der du vielleicht einmal ein bisserl glücklich warst?“
Na bumsti, denkt sich der Biermösel, das wäre jetzt was für das Goldkehlchen-Duo!
Da schließt er die Augen und
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