58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
habe ich ihn hier noch nicht gesehen.“
„Daß er sein Zimmer noch nicht verlassen hat, weiß ich, aber ich dachte, er hätte Sie zu sich rufen lassen.“
„Das ist nicht geschehen.“
Müller nickte leise vor sich hin.
„Diese Vernachlässigung scheint unbegreiflich; er ist aber ein vollständig unberechenbarer Charakter.“
„Seine Zurückgezogenheit muß mir um so mehr auffallen, als er begründete Ursache hat, sich darüber zu freuen, daß nicht auch ich zu den Opfern der heutigen Katastrophe gehöre. Meine Rettung bringt ihm Gewinn.“
Um Müllers Lippen flog ein fast unbemerkbares Zucken, doch ging er auf dieses Thema gar nicht ein, sondern sagte:
„Wie ich hörte, haben Sie Ihre Rettung einem Bürger aus Thionville zu verdanken?“
„Ich zweifle, daß er da Bürger ist. Ich saß mit ihm in einem Coupé. Er unterließ es, sich genau vorzustellen. Er sagte, daß er Pflanzensammler sei.“
„Ah! Bei Doktor Bertrand?“
„Ja, wo die Engländerin wohnt. Kennen Sie vielleicht diesen Kräutermann?“
„Ich bin ihm im Wald begegnet.“
„Er scheint mehr zu sein als das, wofür er sich ausgibt.“
„Hm. Möglich.“
Der Amerikaner fixierte Müller abermals. Er sagte:
„Sie sprechen diese Worte mit einer so eigentümlichen Betonung aus. Steckt vielleicht irgendein verborgener Sinn hinter ihnen?“
„Ja.“
„Welcher?“
„Das zu erklären, bitte ich, mir zu erlassen.“
„Wetter noch einmal! Sie spielen den Geheimnisvollen?“
„Geradeso wie Sie.“
„Monsieur! Ich begreife Sie wieder nicht!“
„Aber ich Sie. Sie werden diesen Pflanzensammler für seine Tat belohnen?“
„Ganz gewiß werde ich das.“
„Sie werden ihn also aufsuchen oder ihn nach Ortry kommen lassen?“
„Jedenfalls. Ich muß doch unserem Retter dem Kapitän vorstellen. Er hat ja auch die Schwester dieser Gesellschafterin gerettet.“
„Und doch werden Sie das nicht tun.“
„Nicht? Ihn nicht kommen lassen und auch nicht belohnen?“
„Auch nicht. Er würde nichts von Ihnen annehmen.“
„Sie kennen ihn also genauer, als Sie vorhin ahnen ließen?“
„Ja.“
„Monsieur Müller, so habe ich mich in Ihnen getäuscht. Sie sind nicht wirklich ein Deutscher.“
„Warum nicht?“
„Weil Sie ein Freund des sogenannten Pflanzensammlers sind. Habe ich recht?“
„Ich bin allerdings sein Freund. Ich nenne ihn sogar du, wenn wir uns unter vier Augen befinden.“
„Nun gut, so sind Sie auch kein Deutscher. Der Kapitän wird niemals einen Deutschen anstellen, und ein Deutscher wird, wenn er Ehre besitzt, nicht gegen sein Vaterland konspirieren.“
„Ah, ich konspiriere gegen Deutschland?“
„Ja. Der Pflanzensammler ist ein Eingeweihter, und Sie als sein Freund können es nicht weniger sein.“
„Ja, er ist eingeweiht, und ich bin noch unterrichteter als er, sogar unterrichteter als der Kapitän.“
Der Amerikaner machte doch ein sehr verwundertes Gesicht. Das hatte er nicht erwartet.
„Noch mehr als der Kapitän?“ fragte er.
„Ja, sogar noch unterrichteter als Graf Rallion.“
„Donnerwetter! Sie wissen alles?“
„Alles. Zunächst erwarte ich, daß Sie ein Ehrenmann sind?“
„Zweifeln Sie etwa daran?“ brauste der andere auf.
„Nein. Es liegt in Ihrem Interesse, daß Sie mir Vertrauen schenken. Ich habe eine Bitte, versichere Ihnen aber, daß ich nichts verlangen werde, was gegen Ihre Ehre oder auch nur gegen Ihren Vorteil sein würde.“
„Was wünschen Sie?“
„Ihr Ehrenwort, über alles, was wir jetzt gesprochen haben und noch sprechen werden, zu schweigen.“
Der Amerikaner blickte nachdenklich auf die Hand, welche Müller ihm entgegenstreckte, sagte dann aber doch:
„Sie sind eingeweiht, Sie machen auf mich einen guten Eindruck, den Eindruck, daß ich Ihnen vertrauen kann; gut, hier meine Hand! Ich werde schweigen, solange Sie es wünschen.“
Sie schlugen ein. Dann sagte Müller:
„Ich bin nicht der, welcher ich scheine –“
„Das habe ich mir bald gesagt“, fiel Deep-hill ein.
„Ich halte Fäden in der Hand, von denen Rallion und Richemonte keine Ahnung haben. Sie selbst, Monsieur, wissen noch weniger als diese beiden.“
„Das ist richtig. Ich hoffe aber, genügendes zu erfahren.“
„Das werden Sie. Sie sind gekommen, um Frankreich mit Geld zu unterstützen?“
„Frankreich eigentlich nicht, sondern die Arrangeurs des Freischarenwesens.“
„Als solche sind Ihnen nur Rallion und Richemonte bekannt, wenn ich mich nicht
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