Turkish Luv (German Edition)
IM HAUSFLUR
Er war
nicht sehr maskulin. Viel mehr ähnelte seine Figur der einer Frau. Schlanker
Körperbau, zierliche Hände und blond gefärbte Haare, die ihm fast bis zu den
Schultern gingen. Gern spielte er an seinen Haarsträhnen herum oder nahm welche
in dem Mund – vor allem, wenn ihm langweilig war. Seine Stimme klang nasal, was
nicht immer sehr männlich wirkte. Dafür hatte er eine fette Beule in der Hose.
Klöten, die Hühnereiern ähnelten. Groß, rund, tief hängend und stets voll mit
Klötenglibber. Er war gerade achtzehn Jahre alt geworden und ständig rattig.
Immer wieder stellte er sich vor, wie es wohl wäre mit einem sexy Typen in die
Kiste zu springen, doch woher hätte er einen nehmen sollen? In dem Kuhkaff, in
dem er zusammen mit seinem Vater Jens lebte, gab es anscheinend keine
Gleichgesinnten. Die Gegend, in der Sven lebte, war auch nicht gerade sehr
schick. Viel mehr erinnerte die Siedlung an einem amerikanischen Albtraum.
Hochhäuser ohne Ende und verdreckte Straßen. Die Arbeitslosenquote lag dort
sehr hoch. Das Hochhaus, in dem er wohnte, hasste Sven. Manchmal, da traute er
sich gar nicht hinaus, da häufig irgendwelche betrunkene Jugendlichen vor dem
Haus herumgammelten und die Angewohnheit hatten ihn auszulachen oder blöd von
der Seite anzumachen. Freunde, die ihn hätten in Schutz nehmen können, hatte
Sven keine, dafür viele Feinde. Dazu gehörte auch die Familie Erol. Eine
türkische Sippe, die im sechsten Stock des Hochhauses wohnte und aus Vater,
Mutter und fünf Kindern bestand. Der Jüngste war Kutay mit fünf Jahren, gefolgt
von den Mädchen Esen (10), Ayatay (12) und Fehime (16). Am schlimmsten war aber
der Älteste: Hasan! Er war achtzehn Jahre jung und voll der kleine Macho. Mit
seinen 174 cm war er gerade mal wenige Zentimeter größer als Sven, dafür hatte
er ein paar Kilos mehr auf den Rippen (wenn auch nicht viele). Schon oft hatte
Sven sich bei dessen Eltern, der kleinen pummeligen Mutter (Medine) und dessen
aggressiven Vater (Hüsrev) über das Verhalten von Hasan beschwert, doch die
Antwort war meistens die gleiche: Die Tür wurde Sven vor der Nase zugeschlagen.
Vor einigen Jahren hatten Hassan und Sven noch miteinander reden können. Zwar
waren sie nie die besten Freunde gewesen, doch hassten sie sich nicht. Die
Veränderung war erst während der Schulzeit gekommen, als Sven plötzlich als
schwul geoutet worden war. Plötzlich hatte Sven mehr Feinde, als so manche
Stadt an Einwohnern hatte. Die Schule schaffte er mit einem
Durchschnittszeugnis, doch einen Ausbildungsplatz suchte er vergeblich. Hasan
hatte es da noch ein wenig schwerer. Zwar hatte auch er seinen Abschluss
geschafft, doch einen Ausbildungsplatz fand er genauso wenig. Was aus Svens
Sicht aber auch kein Wunder war, schließlich benahm Hasan sich echt prollhaft –
fast schon wie ein Assi. Er spuckte auf den Boden, rauchte, trank gern mal ein
Bierchen, kiffte hin und wieder und machte jeden blöd an, der ihm über den Weg
lief. Da spielte es keine Rolle, ob es eine alte Dame war, oder ein
Erwachsener, der ihm einfach hätte ausknocken können. Auf der einen Seite hasste
Sven ihn, doch auf der anderen tat Hasan ihm sogar ein wenig leid. Oft hatte
Sven mitbekommen, wie Hasan von seinem Vater angebrüllt und sogar geschlagen
wurde. Häufig musste Hasan auch auf seine Geschwister aufpassen. Er hatte viel
einstecken müssen, und es schien fast so, als ob er deshalb all seinen
aufgestauten Hass andere spüren lassen wollte. Und obwohl Sven andauernd von
Hasan fertiggemacht wurde, fand er ihn seltsamerweise total attraktiv. Einen
wunderschönen Kussmund, kleine Nase, kurzes und volles schwarzes Haar, dunkle
braune Augen, die Sven manchmal am liebsten stundenlang angesehen hätte,
kräftige Augenbrauen, schöne Hände und eine sehr anziehende Stimme – sofern
Hasan normal redete und nicht herumbrüllte. Außerdem war Hasan sehr modebewusst.
Im Sommer trug er enge ¾ Jeanshosen, die seinen Hintern schön zu Geltung
brachten, schicke Sneakers, weiße Socken und eng anliegende Oberteile, die hin
und wieder sogar mit Glitzer verziert waren. Sven hingegen konnte sich keine
teuren Sachen leisten. Woher die Familie Erol jedoch das Geld nahm, war Sven
ein Rätsel, denn die Mutter war nur eine billige Aushilfskraft, die Toiletten
putzte und nur der Vater hatte einen Vollzeitjob – verdiente allerdings auch
nicht sehr viel. Trotzdem trugen die Jungen der Familie immer die neuesten und
teuersten Klamotten,
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