59 - Die Liebe des Ulanen 05 - Entscheidung in Sedan
verschwunden. Mein Kopf schmerzt nicht mehr. Ich will gehen.“
Er erhob sich und wankte nach der Tür. Sie ließen ihn gehen, ohne ihn zurückzuhalten. Was sie jetzt erfahren hatten, wußten sie bereits zum großen Teil, Liama aus ihrer Vergangenheit und Müller aus den Aufzeichnungen, welche Marion von Hassan, dem Zauberer, empfangen und ihm anvertraut hatte. Manches aber erschien ganz neu und war wohl geeignet, sie in die höchste Bestürzung zu versetzen und ihnen Stoff zu den interessantesten und wichtigsten Kombinationen zu geben.
VIERTES KAPITEL
In Algier
Wenn man in der Stadt Algier von der Straße Bab el Qued nach der Kasbahstraße einbiegt und dann sich um die erste Ecke rechter Hand wendet, kommt man an eins der berühmtesten Kaffeehäuser der einstigen Seeräuberstadt. Aber dem Äußeren dieses Hauses sieht man diese Berühmtheit ganz und gar nicht an. Es ist schwarz und alt. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen halten zu wollen, und der Eingang ist schmal und niedrig wie die Tür zu einer Hütte.
Durch ihn gelangt man zunächst in einen langen, dunklen Flur, dann aber in einen großen, offenen Hof, welcher mit prächtigen Säulenbogen umgeben ist, unter denen sich kleine, lauschige, nach dem Hof zu offene Gemächer rundum aneinander reihen.
Diese Gemächer sind für die Gäste bestimmt.
Inmitten des Hofes plätschert ein Brunnen, welcher von den vollen Wipfeln einer Sykomore überschattet wird. Hier sitzen des Abends, während die Ausländer unter den Säulenbogen trinken und rauchen, die Eingeborenen, in ihre weiten, weißen Gewänder gehüllt, ‚trinken‘ ihren Tschibuk, wie der Maure sich auszudrücken pflegt, und schlürfen einen Fingan Kaffee nach dem andern dazu.
Dabei lauschen sie dem Vortrag des Meda, des Märchenerzählers, der sie im Geiste nach Damaskus und weiter führt und ihnen jene phantastischen Bilder aus Tausendundeiner Nacht vor die Augen führt.
Doch nicht immer sind es Märchen, welche sie hören. Er berichtet auch von Mohammed dem Propheten, von den Kalifen, von dem großen Salah-ed-din, welchen die Christen Saladin nennen, von Tarik dem Eroberer, von dem spanischen Reich der Mauren. Er beschreibt die Pracht und Herrlichkeit des Altertums und schildert ebenso die Gegenwart.
Hat er Mekka, die heilige Stadt besucht, so beschreibt er seine Pilgerreise, und ist er weit in das Innere der Wüste gekommen, so entrollt er die Geheimnisse der Sahara vor ihren Augen. Er spricht vom Samum, von den Djinns, den bösen Geistern, vom Löwen, dem Beherrscher des Wüstenrandes, und während er spricht und erzählt, dichtet er:
„Da liegt der Maure unter Palmen,
Vom Sonnenbrand herbeigeführt;
Das Dromedar nascht von den Halmen,
Die noch der Samum nicht berührt.
Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,
Der lebensfrischen, voll und satt;
Da naht verschmachtend die Gazelle,
Vom wilden Jagen todesmatt.
Da geht der Löwe nach der Beute,
Der König, kampfesmutig aus,
Und in die unbegrenzte Weite
Brüllt er den Herrscherruf hinaus,
Und Mensch und Tier, Gnu und Gazelle,
Sie zittern vor dem wilden Ton
Und jagen mit Gedankenschnelle,
Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.“
Eben als der Meda bis hierher gekommen war, trat ein neuer Gast in den Hof. Er blieb am Eingang stehen und blickte sich um. Er schien den, welchen er gesucht hatte, gefunden zu haben, denn einer der Anwesenden erhob sich aus dem Kreis der Zuhörer und kam auf ihn zugeschritten.
„Sallam aaleïkum!“ grüßte der Eingetretene.
„Aaleïkum sallam“, antwortete der andere. „Wie bin ich erfreut, dich zu sehen!“
„Allah hat mich beschützt.“
„Warst du glücklich?“
„Ja.“
„Darf ich nun fragen, wo du warst?“
„Ich erzähle es dir.“
„Und was du dort wolltest?“
„Auch das.“
„So komm.“
Er führte ihn in eins der nach dem Hof zu offenen Gemächer. Ein Diener des Kawedschi (Kaffewirts) brachte Tabak und Kaffee. Sie setzten sich nebeneinander auf das Polster nieder, und der Neuangekommene brachte seinen Tschibuk in Brand.
Er war jünger als der andere, ihm aber so ähnlich, daß man gleich auf den ersten Blick diese beiden für Verwandte halten mußte.
Und so war es auch. Der Ältere war Abu Hassan der Zauberer, und der Jüngere war Saadi, der einstige Geliebte Liamas, von dem man geglaubt hatte, daß er erschossen worden sei.
„Nun erzähle“, bat Hassan. „Wo bist du gewesen?“
„Das würdest du nie erraten.“
„So sage es.“
„Im Auresgebirge.“
„Dort oben? Was hattest
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