60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
daß zu einem Geschäft vor allen Dingen eine Frau gehört?“
„Hm! Das weiß ich gar wohl!“
Dabei warf er einen Blick, welcher scheinbar verstohlen sein sollte, aber von allen bemerkt wurde, auf die kleine Jette, welche eben im Begriff stand, das Blechmaß an den Mund zu führen.
„Dann suchen Sie nur so bald wie möglich!“ fuhr der Alte fort.
„Werde gar nicht weit zu laufen brauchen! Aber, wollen Sie sich denn nicht ein bißchen mit hersetzen?“
„Auf ein Weilchen, ja. Dieser Herr ist Architekt und heißt Jakob. Er sucht sich hier eine Anstellung. Und dieser hier ist Diener beim Fürsten von Befour, hustet aber auf seine Anstellung. So, nun kennen sich die Herren. Jette, schenk ein!“
Damit waren die beiden einander vorgestellt. Der alte Apotheker setzte sich zu seinen Töchtern, und auch der ‚Hauptmann‘ ließ sich bei ihnen nieder. Er nahm in der Weise Platz, daß er dem Bedienten des Fürsten gegenüber saß und ihn also genau beobachten konnte. Sein Mißtrauen war verschwunden, und er sagte sich im stillen, daß er mit seinem Gegenüber eine treffliche Akquisition machen könne. Hatte er im Haus des Fürsten von Befour einen treuen und zuverlässigen Verbündeten, so mußte ihm dies vom allergrößten Nutzen sein.
Es wurde getrunken. Dabei ließen weder der verkleidete Baron, noch der Diener des Fürsten es sich merken, welche Mühe es ihnen kostete, den miserablen Fusel des Apothekers zu überwältigen. Sie taten vielmehr, als ob ihre Kehlen für dieses Getränk eingerichtet seien und gaben sich Mühe, die Unterhaltung zu einer recht animierten zu machen. Dabei verfolgte natürlich jeder von ihnen den heimlichen Zweck, den andern auszuhorchen, um sich über ihn Klarheit zu verschaffen.
Trotz alledem aber war die Unterhaltung eine sehr animierte. Besonders glückliche Stimmung zeigte Jette, des Apothekers ‚schönste‘ Tochter. Ihr Geliebter befand sich bei ihr. Sie konnte in kurzer Zeit seinen Antrag erwarten; dann war sie seine Verlobte, und nachher würde sie seine Frau sein, die Frau eines so schönen, jungen Mannes! Sie schwamm in einem Meer von Seligkeit, und ihre gute Laune teilte sich ganz natürlicherweise auch den anderen mit.
Adolf, der Diener, zeigte sich als ein sehr lustiger, unterhaltender Kamerad. Er steckte voller Witze und Anekdoten und ließ dazwischen Bemerkungen fallen und Ansichten hören, welche den Baron zu der Vermutung bringen mußten, daß es mit der Moralität und Gewissenhaftigkeit dieses lustigen Burschen nicht auf das beste bestellt sei.
Darum nahm er sich vor, ihm noch ein wenig mehr auf den Zahn zu fühlen, als es jetzt in Anwesenheit der anderen möglich war. Aus diesem Grund brach er nicht eher auf, als bis auch der Diener des Fürsten von Befour sich zum Gehen anschickte. Beide verließen miteinander das Haus des Apothekers. Draußen gingen sie noch eine Strecke miteinander fort, und dann blieb Adolf an einer Ecke stehen. Er deutete mit der Hand nach der Seitenstraße und sagte:
„Jetzt werden wir uns trennen müssen, mein lieber Herr Jakob. Meine Wohnung, das heißt, das Palais meines gegenwärtigen Herrn, liegt nach dieser Richtung hin.“
„Das ist doch kein Grund, uns so schnell zu trennen!“
„Wie es den Anschein hat, gehen Sie doch geradeaus?“
„Ich bin Herr meiner Zeit. Ich kann gehen und kommen, wann, wo und wie es mir beliebt.“
„Sie Glücklicher!“
Dieses Wort war mit einem wohl berechneten Seufzer ausgesprochen. Der Baron hörte dies und sagte im Ton des Bedauerns:
„Sie Ärmster! Ja, Herrendienst ist eine schwere, unangenehme Sache. Sie gefallen mir, und darum nehme ich herzlich Teil an Ihnen. Sind Sie denn gezwungen, schon jetzt nach Hause zu gehen?“
„Nein. Sie haben bereits gehört, daß ich heute frei habe.“
„Nun, warum wollen wir uns da so schnell trennen? Oder muß ich vielleicht befürchten, daß Sie sich in meiner Gesellschaft nicht wohl befinden? Das würde mir um so mehr leid tun, als ich Ihnen, wie gesagt, meine wärmste Sympathie widme und Ihre nähere Bekanntschaft wünsche.“
Der schlaue Geheimpolizist merkte, daß er jetzt zugreifen müsse. Es fiel ihm ganz und gar nicht ein, zu glauben, daß dieser Mann wirklich ein Architekt und in der Residenz fremd sei. Er hielt ihn für einen höchst problematischen Menschen, der vielleicht gar mit dem geheimnisvollen ‚Hauptmann‘ in Beziehung stand. Er ahnte, daß dieser sogenannte Architekt seine Bekanntschaft wünsche, um irgendeinem auf den
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