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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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„Sie sprechen von einem Schuldigen und einem Unschuldigen. Wer ist damit gemeint?“
    „Das begreifen Sie wieder nicht? Da muß ich Sie an jene Mordnacht erinnern. Sie wissen, daß Gustav Brandt eingestanden hat, bei dem Baron gewesen zu sein.“
    „Allerdings. Da hat er ihn ermordet.“
    „O nein. Ich weiß das sehr genau, denn ich bin danach auf einen Augenblick im Zimmer des gnädigen Herrn gewesen, welcher in vollstem Wohlsein an seinem Tisch saß.“
    „Donnerwetter! Darüber schweigen Sie ja! Man könnte sonst denken, daß Sie ihn umgebracht haben!“
    „Ich würde meine Unschuld beweisen können.“
    „Oh, das bezweifle ich sehr! Wie sollten Sie das anfangen?“
    „Wie nun, wenn auch nach mir noch jemand beim Baron gewesen wäre?“
    „So spät? Man würde es nicht glauben.“
    „Höchstwahrscheinlich doch. Hätte ich den Baron getötet, so wäre derselbe doch von diesem Jemand tot aufgefunden worden, und es hätte sofortige Anzeige erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen.“
    Er warf einen forschenden Seitenblick auf sie und fragte, indem seine Stimme einen belegten Klang annahm:
    „So! Hm! Wollen Sie mir nicht eingestehen, daß dieser Jemand in das Reich der Fabel gehört?“
    „Haben Sie vielleicht jemals bemerkt, daß ich gern fabuliere?“
    „Allerdings nicht. Sie sind mir im Gegenteil stets als realistisch, ja sogar als materiell oder substantiell vorgekommen. Aber heut will es mir scheinen, daß auch Sie es mit jenem berühmten Unbekannten zu tun haben, welcher in Untersuchungssachen eine so große Rolle zu spielen pflegt.“
    „Sie wären zu dieser Vermutung nur dann berechtigt, wenn mir derjenige, von welchem ich behaupte, daß er nach mir beim Baron gewesen sei, nicht bekannt gewesen wäre. Ich habe ihn aber so genau rekognosziert, daß er der Strafe unmöglich entgehen kann. Ich weise nach, daß er der Mörder ist.“
    „Donnerwetter!“ rief er, sich von seinem Sitz erhebend. „Sie scheinen an jenem Abend ja ganz bedeutend spioniert zu haben!“
    „Ich gebe das zu, füge aber die Bemerkung bei, daß ich Ursache dazu hatte. Ich war von einem Herrn, welcher vorgab, mich zu lieben, in den Garten bestellt worden. Er nahm diese Bestellung zurück. Dies erregte mein Mißtrauen und darum beobachtete ich ihn.“
    Es begann ihm vor den Augen zu flimmern.
    „Meinen Sie etwa mich?“ fragte er. „Ich entsinne mich, an jenem Abende mit Ihnen ein Rendezvous für Mitternacht verabredet zu haben.“
    „Ja, Sie sind es, welchen ich meine!“
    „Sie irren! Sie haben einen anderen für mich gehalten!“
    „O nein!“ lächelte sie. „Liebende pflegen einander genau zu erkennen. Ich ahnte allerdings nicht, was geschehen war; aber ich wollte gern wissen, was Sie zu so später Stunde noch bei dem Baron zu tun gehabt hatten. Darum wollte ich mich unter irgendeinem plausiblen Vorwand zu diesem begeben, bemerkte aber, daß Sie den Schlüssel abgezogen hatten. Er fand sich in der Tasche Brandts. Sie haben im Wald Gelegenheit gefunden, ihn da hinein zu eskamotieren.“
    „Weib! Mädchen!“ rief er. „Was fällt Ihnen ein! Sie wollen sagen, daß ich der Mörder bin?“
    „Ja“, antwortete sie ruhig und bestimmt.
    „Sie sind nicht bei Sinnen! Sie leiden an Halluzination!“
    „Ich habe diese Krankheit niemals gekannt. Sie wissen, daß neben den anderen auch wir beide, Sie und ich, in der Residenz zu erscheinen haben, um während der Verhandlung gegen Brandt als Zeuge zu dienen. Ich habe aus Rücksicht für Sie bisher gezögert; nun aber werde ich endlich die Wahrheit sagen müssen.“
    „Warum haben Sie bisher geschwiegen?“ fragte er beinahe höhnisch. „Man wird Ihnen nun nicht glauben!“
    „Vielleicht doch. Ich hatte zwei sehr triftige Gründe, zu schweigen. Ihnen kann ich sagen, daß ich aus Rache gegen Brandt schwieg, da er die eigentliche Ursache vom Tod meines Bruders ist, und aus Liebe zu Ihnen, den ich nicht unglücklich machen wollte. Den Richtern aber werde ich sagen, daß mir die Verantwortlichkeit, welche ich auf mich zu laden habe, anfänglich zu schwer erschienen sei. Es handelt sich jedenfalls um ein Todesurteil. Ich glaubte, daß man den Schuldigen auch ohne mich entdecken werde. Nun aber, da ich sehe, daß ein Unschuldiger verurteilt werden soll, muß eine jede falsche Bedenklichkeit schwinden. Sie sehen ein, daß meine Aussage eine außerordentliche Wirkung hervorbringen wird.“
    „Sie wird aber doch eine falsche sein!“
    „O nein! Ich habe ganz genau erkannt

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