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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und kann tausend Eide schwören, daß Sie es waren. Brandt behauptet, nicht geschossen zu haben, und Sie befanden sich unbemerkt in seiner unmittelbaren Nähe. Man wird diese Aussage mit der meinigen vergleichen; man wird weiter schließen und forschen; man wird zu Ergebnissen kommen. Mit einem Wort: man wird Sie an Brandts Stelle in die Untersuchungszelle sperren.“
    Er mußte einsehen, daß die Perspektive, welche sie ihm hier stellte, eine große Wahrscheinlichkeit für sich habe; er starrte ihr eine ganze Weile lang wortlos in das Gesicht, wendete sich dann rasch ab, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor ihr stehenbleibend:
    „Wissen Sie, daß Sie ein Ungeheuer sind?“
    „Ah! Wer ist ungeheuerlicher und abscheulicher, der Mörder oder die Zeugin, welche ihn seiner Tat überführt?“
    „Aber ich bin ja gar nicht der Mörder!“
    Da erhob sie sich von ihrem Sitz, legte die Hand auf seine Schulter und fragte ihn, indem sie ihren Blick flammend in sein Auge bohrte:
    „Baron, wollen Sie, daß ich Sie verachte?“
    „Verachten? Wieso?“
    „Der Mord ist durch das Gesetz verboten; aber der Mörder ist doch ein mutiger Mann, vor dem eine Frau Respekt haben muß, ja, für den sie sogar Sympathie empfinden kann. Wer aber seine Tat leugnet, und zwar vor einem Wesen, welches es herzlich gut mit ihm meint, der ist feig, der ist geradezu verächtlich.“
    Sie drehte sich stolz von ihm ab. Sie war in diesem Augenblick sinnberückend schön. Sie stand am Fenster; er sah ihr zornig schönes Gesicht, ihren glänzenden Nacken, ihre vollen Schultern und Arme, ihren üppigen Busen, welcher sich lebhaft auf und nieder bewegte. Er war ein gott- und rücksichtsloser, ein sinnlicher Mensch; es riß ihn zu ihr hin; er ergriff ihre Hand und fragte:
    „Sie behaupten, daß Sie es herzlich gut mit mir meinen? Haben Sie da die Wahrheit gesagt, Ella?“
    Sie drehte sich rasch zu ihm herum, warf ihm die Arme um den Nacken, drückte ihn fest und mit mehr als Innigkeit an sich und antwortete:
    „Kannst du daran zweifeln, Franz?“
    „Muß ich nicht zweifeln, da du gegen mich als Anklägerin auftreten willst? Du willst mich also in den Tod treiben!“
    „Kann ich anders? Frage dich selbst und gib mir dann Antwort!“
    „Ich begreife dich nicht! Meine Antwort kann doch nur so lauten, daß man den, welchen man liebt, nicht in das Verderben stürzt.“
    „Willst du nicht die Frage nach der Gegenliebe auch mit in Rechnung ziehen? Wenn ich schweige und ein Unschuldiger wird dadurch zum Tode verurteilt, so bin ich seine Mörderin. Dieser Mord fällt so schwer auf das Gewissen, daß die Last nur durch das Glück, wiedergeliebt zu werden, ausgeglichen wird.“
    „Du meinst, daß du schweigen würdest, wenn du meiner Gegenliebe sicher wärst?“
    „Ja, das will ich damit sagen.“
    „So kenne ich keinen Grund, an meiner Liebe zu zweifeln!“
    „Du selbst hast ihn mir vorhin an die Hand gegeben, als ich davon sprach, daß nur die privilegierte Liebe ein wirkliches Glück gewähren kann. Um einen Mord verschweigen zu können, muß ich nicht die Geliebte, sondern die Frau des Mörders sein!“
    Da wand er sich aus ihrer Umarmung los und sagte:
    „Das soll heißen, du wirst mich denunzieren, wenn ich dir nicht gestatte, Baronin von Helfenstein zu sein?“
    „Genauso!“
    „Das ist zuviel verlangt! Das kann ich unmöglich gewähren. Der Stammbaum der Helfenstein darf nicht durch eine Mesalliance be- be- be –“
    „Besudelt werden!“ fiel sie ein. „Gut, Herr Baron! Wir sind also miteinander fertig, und es wird sich zeigen, wodurch ein Stammbaum mehr befleckt wird, durch eine Ehe oder einen Mord. Sie hatten die Wahl zwischen mir und dem Schafott; Sie haben gewählt, und ich kann gehen.“
    Sie warf mit einer entschlossenen Miene den Kopf zurück, griff zu ihrem Umhang, den sie um die Schultern nahm und entfernte sich.
    Er ließ sie bis zum Hausflur kommen, dann aber übermannte ihn die Angst. Er wußte, wie resolut sie war, und fühlte sich überzeugt, daß das Bewußtsein, von ihm verschmäht zu sein, sie zur rücksichtslosesten Rache antreiben werde. Er eilte ihr nach, ergriff sie beim Arme und sagte:
    „Bitte Ella, nicht so rasch entscheiden! Treten Sie wieder ein! Wir können ja sehr leicht ein Übereinkommen treffen, welches Sie vollständig befriedigen wird.“
    Sie schüttelte sehr ernst den Kopf und antwortete:
    „Es gibt nur ein einziges solches Übereinkommen, und das heißt nicht anders als

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