60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
hinderte ihn am Schneidern; er kam herunter. In seinen guten Tagen war er kinderlos. Er sowohl wie seine Frau sehnten sich nach einem Kind. Sie gingen in das Findelhaus und suchten sich einen Knaben aus, den sie gut erzogen. Ich glaube, sie würgten ihn bis zur Prima im Gymnasium empor, dann aber war es aus. Es ging nicht mehr. Der Junge sitzt jetzt daheim und macht den Privatschreiber. Was er dabei verdient, kann nur eine Wenigkeit sein.“
„Die anderen Kinder sind also nachgeboren?“
„Ja.“
„Hm! Haben Sie nicht bemerkt, ob dieser Pflegesohn vielleicht ein Liebesverhältnis mit der ältesten Tochter unterhält?“
„Das glaube ich nicht, obgleich ich zugebe, daß die Geschwisterliebe leicht in ein gefährlicheres Stadium treten kann. Ich werde diese beiden beobachten. Das Mädchen ist wirklich allerliebst, sogar schön, sehr schön.“
„Beobachten Sie. Ließe sich zwischen Geschwistern ein so unnatürliches Verhältnis konstatieren, so würde ich meine Hand abziehen. Nachsicht wäre dann der größte Fehler. Haben Sie noch etwas?“
„Ich glaube zu Ende zu sein.“
„So lassen Sie uns abbrechen. Ich bin sehr beschäftigt.“
Herr Seidelmann entfernte sich, nachdem er eine sehr tiefe und ergebene Verbeugung gemacht hatte. Der Baron blickte nach der Tür, hinter welcher er verschwunden war, und murmelte:
„Dieser Schlaukopf ahnt, daß ich in das Mädchen verliebt bin bis über die Ohren. Ich muß sie haben, obgleich sie mich wiederholt zurückgewiesen hat! Meine Frau – ah pah! Die Umarmung eines tugendhaften Mädchens ist doch etwas ganz anderes!“
Er schritt durch mehrere Zimmer und klopfte dann an eine Tür.
„Du, Franz?“ fragte eine weibliche Stimme von innen.
„Ja“, antwortete er.
„Tritt herein!“
Er öffnete die Tür und zog sie hinter sich wieder zu.
„Ah!“ sagte er überrascht. „Ich störe!“
„O nein, obgleich du mich jetzt im Bad findest“, lachte sie. „Vor dem Mann darf die Frau selbst in dieser Beziehung kein Geheimnis haben.“
Das Boudoir, in welchem sie sich befanden, war mit einem wahrhaft raffinierten Luxus ausgestattet. Es besaß die bequeme Einrichtung, daß man nur an einen Knopf zu drücken brauchte, so öffnete sich die eine Wand, um den vollständigen Badeapparat einzulassen.
Die Baronin, das einstige Bauernmädchen, die frühere Zofe, saß in einer Badewanne, welche aus cararischem Marmor gefertigt war. Wer sie hier erblickte, mußte sich sagen, daß sie ein üppiges und noch immer schönes Weib sei, obgleich sie bereits über vierzig Jahre zählte. Sie saß aufrecht. Ihr aufgelöstes Haar, welches noch ebenso voll und glänzend war wie damals, als sie das Seidenkleid ihrer Herrin anprobierte, umfloß ihren Oberkörper und fiel dann wie eine dunkle, weiche Flut in das Wasser nieder. Ihr allerdings zu üppiger Körper zeigte nicht das leiseste Fleckchen, er war glänzend wie Alabaster und von einer so glänzenden Weiße, als sei er aus demselben Marmor gemeißelt wie die Wanne, in welcher sie sich befand.
Und trotz dieses mehr als verführerischen Anblickes stand der Baron kalt und unbewegt vor ihr, als ob der Urstoff seines Körpers eben auch nichts anderes als Marmor sei.
„Kommst du aus Liebe oder aus – Geschäftsabsichten?“ fragte ihn die Baronin.
Er zuckte die Achseln, zog sein Zigarrenetui hervor, steckte sich, ohne Rücksicht darauf, daß er sich in einem Damenboudoir befand, eine Havanna an und antwortete leichthin:
„Aus Liebe? Wie kommst du mir heut vor?“
Sie zog die Mundwinkel scheinbar schmollend empor und antwortete:
„Ach ja! Die Zeiten der ersten Liebe sind längst vorüber!“
„Der ersten! Mache keine Witze! Meine erste Liebe warst du nie, das habe ich dir tausendmal in aller Aufrichtigkeit gesagt. Und ich etwa die deinige? Meinst du, daß ich daran glaube?“
„Nein, du glaubst nicht daran. Auch habe ich dir ja mit eben solcher Aufrichtigkeit gesagt, daß mein Herz früher bereits einmal engagiert gewesen war.“
„Allerdings. Aber denjenigen, der es engagiert hatte, den hast du mir nicht genannt.“
„Das würde zu nichts führen!“
„Aber es wäre interessant. Du bist zur Kurtisane geboren, schön, üppig und glühend, aber ebenso berechnend und habgierig. Du bist ja eigentlich auch Kurtisane, seit wir uns gegenseitig die Erlaubnis gegeben haben, ungestört lieben und genießen zu können, wen wir wollen. Du hast dich aus reiner Berechnung in den Besitz meiner Person gesetzt. Ich glaube, daß du
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