61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
ich ihm gleich nach!“
Er ging eilig wieder zur Tür hinaus.
„Wunderbar!“ sagte der Wirt zu sich. „Das begreife, wer da will! Aber dieses Mal sehe ich doch hinterdrein!“
Auch er eilte hinaus. Als er das Tor erreichte, war auf der Straße, gerade wie vorher, kein Mensch zu sehen.
„Muß der Kerl gerannt sein! Oder bin ich so plötzlich kurzsichtig geworden, wie er sagte?“
Er kehrte in die Stube zurück und sah den Grog noch stehen.
„Er verdirbt; er wird kalt. Aber ich muß gewärtig sein, dieser Unbekannte kommt noch einmal retour. Ich werde –“
Er hielt mitten in der Rede inne, denn er sah, daß die Tür sich abermals öffnete. Das Gesicht mit der blauen Brille und dem schwarzen Bart blickte herein und fragte:
„War er da?“
„Wer denn?“ fragte der Wirt, vor Überraschung ganz perplex.
„Nun, der Blonde mit dem grauen Anzug.“
„Ja; er war da. Er ist vor einer halben Minute wieder fort.“
„Was sagte er denn?“
„Er will Sie Mores lehren!“
„Wart! Diesem Burschen werde ich zeigen, was das Wort Mores zu bedeuten hat! Adieu!“
Der Kopf fuhr zurück, und der Wirt blickte ganz betreten nach der Tür, welche wieder zugemacht wurde.
„Donnerwetter, das begreife, wer da will!“ fluchte er. „Sie müssen sich doch begegnet sein! Aber diesmal komme ich gleich hinterher, und wenn ich halb blind sein sollte!“
Er wollte fort; aber da wurde die Tür abermals geöffnet und der blonde Kopf mit der grauen Mütze erschien.
„War er da?“ ertönte die hastige Frage.
„Der Schwarze?“
„Ja.“
„Sie müssen doch draußen im Flur mit ihm zusammengerannt sein!“
„O Gott bewahre! Was sagte er denn?“
„Er wollte Ihnen zeigen, was das Wort Mores zu bedeuten hat, meinte er.“
„Wart, Halunke, dich krieg ich doch!“
Der Kopf verschwand mit größter Eile.
„Das ist stark, nein, das ist noch mehr als stark!“ rief der Wirt. „So etwas ist mir in meinem ganzen Leben – Himmelbataillon? Was ist denn wieder?“
Der Schwarze guckte nämlich wieder herein.
„Ist er noch da?“ fragte er.
„Der Blonde? Nein!“ antwortete der Wirt, indem er ganz entsetzt die Augen aufriß.
„Ich sah ihn doch hereingehen! Bitte, halten Sie ihn fest, wenn er wiederkommen sollte!“
Damit verschwand er wieder.
„Bin ich denn verrückt?“ fragte sich der Wirt. „Das ist ja gerade, als ob der Teufel sein Spiel – Alle guten Geister! Sie auch wieder?“
Der blonde Kopf fuhr nämlich durch die sich wieder öffnende Tür hinein und fragte im Tone der höchsten Eilfertigkeit:
„Haben Sie ihn gesehen? Er muß noch dasein!“
„Nein! Gerade in diesem Augenblick ist er –“
Er hielt inne, denn der Kopf hatte sich schnell wieder zurückgezogen. Der Wirt fuhr sich mit den Händen in die Haare und stöhnte:
„Bin ich denn verrückt? Ach, ich sollte ihn ja nicht fortlassen! Wart, den kriege ich noch!“
Er eilte hinaus. Als er das Tor erreichte, trat ihm von der Straße her – der Schwarze entgegen.
„Nun, haben Sie ihn festgehalten?“ fragte er.
Da ergriff der Wirt ihn am Arm und rief:
„Herr, lassen Sie sich anfassen, damit ich mich überzeuge, ob Sie Fleisch und Blut sind! Ja, Gott sei Dank! Die Knochen fühle ich, und die Menschenhaut sehe ich!“
„Ich glaube, Sie sind nicht recht disponiert!“
„Der Kuckuck mag da disponiert sein, wenn einer immer nach dem anderen fragt, ohne daß sie sich sehen, obgleich sie eigentlich unter der Tür mit den Köpfen zusammenstoßen müßten!“
„Nun, so muß ich ganz sichergehen. Ich werde hierbleiben, bis er wiederkommt.“
„Ja, tun Sie mir den Gefallen! Ich weiß sonst gar nicht, ob ich einen Kopf habe oder nicht. Kommen Sie herein!“
„Schön! Geben Sie mir noch ein Bier!“
Er trat mit in die Gaststube und setzte sich nieder. Der Wirt trat an das Faß, füllte das Glas und fragte dabei:
„Kennen Sie ihn denn nicht?“
„Hm! Eigentlich sollte ich es nicht verraten! Aber da Sie dabei beteiligt sind, will ich Ihnen sagen, daß er ein Polizist ist.“
„Ein Polizist?“
„Ja. Aus der Residenz.“
„Alle Teufel. Wie heißt er?“
„Arndt, glaube ich.“
„Arndt?“ rief der Wirt im höchsten Erstaunen.
Das war ja gerade der Mann, der ihm angemeldet worden war, angemeldet von seiner guten, verehrten Baronesse!
„Ja. Er will sich, wie man hört, bei dem alten Förster Wunderlich einquartieren.“
„Das ist freilich wunderbar!“
„Wunderbar?“ fragte der Schwarze. „Warum? Kennen auch Sie
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