Georgette Heyer
1
«Heute nacht ist ein Fuchs unter die
Hennen geraten und hat eine unserer besten Legerinnen entführt», bemerkte Miss
Lanyon. «Noch dazu eine Urgroßmutter! Er sollte sich wirklich schämen!» Da sie
keine Antwort bekam, fuhr sie mit veränderter Stimme fort: «Ja, wirklich! Das
ist zu schlimm. Was sollen wir jetzt tun?»
Ihr Gefährte wurde aufmerksam, hob
die Augen von dem Buch, das offen neben ihm auf dem Tisch lag, und schaute sie,
etwas geistesabwesend, fragend an. «Was soll das? Hast du etwas zu mir gesagt,
Venetia?»
«Ja, Liebling», antwortete seine
Schwester heiter, «aber es war ganz und gar unwichtig, und ich habe auf alle
Fälle gleich für dich geantwortet. Du würdest wirklich staunen, wenn du
wüßtest, was für interessante Gespräche ich mit mir führe und wie ich sie genieße.»
«Ich habe gelesen.»
«Stimmt – und deinen Kaffee kalt
werden lassen, abgesehen davon, daß du das Butterbrot nicht fertiggegessen
hast. So iß es doch auf! Ich glaube wirklich, ich sollte dir nicht erlauben,
bei Tisch zu lesen.»
«Och, ohnehin nur am
Frühstückstisch!» sagte er verächtlich. «Probier's, ob du mich davon abhalten
kannst!»
«Natürlich kann ich das nicht. Was
ist es eigentlich?» gab sie zurück und schaute den Band an. «Ach, Griechisch!
Zweifellos irgendeine erbauliche Geschichte.»
«Die Medea», sagte er zurückhaltend.
«In der Ausgabe von Porson, die mir Mr. Appersett geliehen hat.»
«Und ob ich die kenne! Sie war doch
dieses bezaubernde Geschöpf, das ihren Bruder zerschnippelt und die Stücke
ihrem Papa vor die Füße geworfen hat, nicht? Sicher eine absolut liebenswürdige
Person, wenn man sie erst näher kennt.»
Er zuckte ungeduldig die Achsel und
antwortete wegwerfend: «Das verstehst du nicht, und es ist pure
Zeitverschwendung, dir das zu erklären.»
Sie zwinkerte ihm zu. «Aber ich
versichere dir, ich verstehe sie! Ja, bin ganz auf ihrer Seite, abgesehen
davon, daß ich mir wünsche, ich besäße ihre Entschlossenheit! Obwohl ich
glaube, ich hätte deine Überreste fein
säuberlich im Garten vergraben, mein Lieber!»
Diese ausfallende Bemerkung
entlockte ihm ein Grinsen, aber er sagte bloß, bevor er sich wieder seinem Buch
zuwandte, ein solcher Befehl an sie wäre bestimmt die einzige Aufmerksamkeit
gewesen, die ihre Eltern der Sache gewidmet hätten.
Gegen seine Gewohnheiten abgehärtet,
versuchte es seine Schwester nicht weiter, seine Aufmerksamkeit zu fesseln.
Das Butterbrot – alles, was er an diesem Morgen zu essen gewillt war – lag zur
Hälfte aufgegessen auf seinem Teller, aber ihn weiter zu ermahnen, wäre
Zeitverschwendung gewesen, und hätte sie es gewagt, sich zu erkundigen, wie er
sich heute morgen fühle, hätte sie ihn doch nur aufgebracht.
Er war ein magerer Junge, ziemlich
klein für sein Alter, keineswegs unhübsch, aber mit einem Gesicht, das über
seine Jahre hinaus scharf und von Linien durchzogen war. Einem Fremden wäre es
schwergefallen, sein Alter zu schätzen, da die Unreife seines Körpers in
seltsamem Gegensatz zu seinem Gesicht und seinem Benehmen stand. Tatsächlich
war er erst vor kurzem siebzehn geworden, aber körperliches Leiden hatte die
Linien in sein Gesicht gegraben, und der Umgang ausschließlich mit Menschen,
die älter waren als er, gepaart mit einem Intellekt, der zu Gelehrsamkeit neigte
und sehr ausgeprägt war, hatte ihn frühreif gemacht. Eine Erkrankung des
Hüftgelenks hatte ihn von Eton ferngehalten, wo sein Bruder Conway, um sechs
Jahre älter als er, erzogen worden war, und das – oder, wie seine Schwester
manchmal dachte, die verschiedenen Behandlungen seiner Krankheit, die er hatte
durchmachen müssen – hatte dazu geführt, daß eines seiner Beine kürzer war. Er
konnte nur mit einem sehr deutlich merkbaren und häßlichen Hinken gehen; und
obwohl die Krankheit angeblich zum Stillstand gebracht worden war, schmerzte
ihn das Gelenk bei ungünstigem Wetter – oder wenn er sich überanstrengt hatte
– immer noch. Sporte, für die sich sein Bruder begeisterte, waren ihm verwehrt,
aber er war ein tapferer Reiter und ein recht guter Schütze, und nur er wußte –
und Venetia erriet es –, wie bitterlich er sein Leiden haßte.
Eine Knabenzeit erzwungener
physischer Unbeweglichkeit hatte in ihm die angeborene Neigung zu Gelehrsamkeit
verstärkt. Als er vierzehn war, hatte er seinen Erzieher, wenn nicht an Wissen,
so doch an Erfassen übertroffen; und der würdige Mann erkannte, daß der Junge
einen Pauker
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