61 - Der verlorene Sohn 02 - Der Schmugglerkönig
sie sind tot!“
„O nein!“ antwortete er abermals. „Sie sind nur betäubt! Sie werden erwachen, kurz vor der Vorstellung heute abend. Mögen sie es sich zur Warnung dienen lassen.“
Während sie sich bei den Bewußtlosen niederkniete, verließ er den Raum. Draußen, als er die Türe zugeschlagen hatte, hielt er das, was er in der Hand gehalten hatte, gegen das Treppenfenster. Es war eine goldene Kugel, mit einem beweglichen Knopf zum Öffnen und Verschließen.
„Ein prächtiges Mittel!“ nickte er vor sich hin. „Es wirkt augenblicklich und unfehlbar. Selbst ein wildes Tier würde wohl kaum widerstehen!“
Er steckte die Kugel in die Tasche und schritt die Treppe hinab. Als er unten in die Gaststube trat, nickte ihm der Wirt froh entgegen.
„Sie kommen heiler Haut zurück?“ fragte er. „Das hätte ich nicht gedacht, und darum hielt ich es für meine Pflicht, Sie zu warnen.“
„Ist dieser Kerl denn gar so schlimm?“
„Er ist roh und hat Bärengewalt in seinen Füßen.“
„Das habe ich nicht bemerkt.“
„Oh, er hat gestern abend hier Kraftstücke zum besten gegeben, die ganz erstaunlich waren. Mich dauert das arme Kind.“
„Warum dulden Sie die Mißhandlung desselben?“
„Herr, jeder trachtet nach seinem Brot! Diese Künstler werden mir heute Verdienst bringen; da darf ich es doch nicht mit ihnen verderben!“
„Hm! Der Grund ist derjenige eines Menschen, aber er ist nicht menschlich. Ich möchte den Kerl anzeigen.“
„Tun Sie das nicht! Es würde aus der Vorstellung nichts, und ich käme um meine Gäste für heute.“
„Na, eigentlich geht mich die Sache auch nicht viel an!“
„Gar nichts. Sie sind ja fremd hier. Darf ich fragen, woher Sie sind?“
„Von drüben herüber.“
Er deutete mit dem Daumen nach rückwärts, in der Richtung, in welcher die Grenze lag.
Da kniff der Wirt die Augen zusammen, blinzelte ihn ein Weilchen verständnisinnig an und fragte dann:
„In Geschäften etwa?“
„Möglich.“
„Bedeutend?“
Der Fremde zuckte die Achsel und antwortete zurückhaltend:
„Hm! Je nachdem es ausfällt.“
„Ah, richtig! Je nachdem es ausfällt. Das heißt, es ist bei dem Geschäft eine kleine Unsicherheit vorhanden?“
„So ist es.“
„Nun, so haben Sie keine Sorge! Der, an den Sie sich ja halten werden, ist ein sicherer Mann.“
Der Fremde merkte, daß der Wirt den Pascherkönig meinte. War dieser Gasthofbesitzer etwa auch mit im Geheimnis? Das mußte erforscht werden.
„Glauben Sie wirklich, daß er sicher ist?“
„Unbedenklich!“
„Aber ich sage Ihnen gerade das Gegenteil. Mir ist er vollständig unsicher.“
„Das glaube ich nicht.“
„Und doch ist es so. Ich suche ihn ja erst.“
„Ah, so! Sie haben noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt?“
„Nichts; gar nichts.“
„Und Sie sind Kaufmann?“
„Ich habe mich erst vor kurzem etabliert.“
„Wo?“
„Hm! Das ist wohl Nebensache. In solchen Dingen muß man vorsichtig sein.“
„Das ist richtig. Aber wenn andere ebenso vorsichtig sind, werden Sie nicht erfahren, was Sie wissen wollen.“
„Das sollte mir leid tun! Ich suche bereits seit einigen Tagen.“
„Wo denn?“
„Überall! In Kneipen und auf Straßen. Ich dachte, ich würde vielleicht ein Gesicht finden, so ein echtes Pascherges – wollte sagen, ein Gesicht, dem ich es gleich ansehen würde, daß ich mich bei ihm erkundigen kann.“
Da lachte der Wirt auf, blickte sich vorsichtig um und sagte:
„Da können Sie sich ewig und vergeblich umsehen! Was haben Sie denn von den Pasch – ah, von denen, die Sie Suchen, für eine Meinung? Zerrissene Kleider und das Gesicht voller Bart? Unsinn! Es sind die feinsten und zartesten Leute darunter.“
Da rückte der Fremde näher und sagte:
„Sie scheinen unterrichtet zu sein?“
„Hm!“
„Würden Sie mir Vertrauen schenken?“
„Hm!“
„Sapperment! Mit diesen Ihren Antworten komme ich nicht von der Stelle!“
„Ja. Aber Sie sind vorsichtig, und da muß ich es auch sein. Soll die Ware herüber oder hinüber?“
„Herüber.“
„Ist's viel?“
„Viel und kostbar.“
„Ei, ei! Sie sehen mir gar nicht so verwegen und riskant aus. Sie scheinen eher ein Dorfschulmeister als ein Kaufmann zu sein.“
„Jeder ganz so, wie ihn der liebe Gott erschaffen hat.“
„Freilich, gegen sein Gesicht und seine Figur kann kein Mensch. Aber den, mit dem Sie reden wollen, werden Sie wohl nicht gleich treffen.“
„Warum nicht?“
„Es kennt ihn
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