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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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bitten, mir alles zu erzählen, woran Sie sich erinnern, auch wenn es Sie quält. Es ist außerordentlich wichtig.«
    Das Schweigen dehnte sich aus. Der große Raum war mit Mahagonimöbeln und goldgerahmten Spiegeln eingerichtet. Durch ein Fenster fiel ein Sonnenstrahl herein. Selbst die winzigen Staubkörnchen, die im Lichtstrahl schwebten, schienen zu erstarren.
    »Was ich gesehen habe, Pater, das wünsche ich niemandem … Das Licht wurde immer größer, je mehr ich mich näherte. Zu Anfang begriff ich nicht, warum, aber allmählich klangen die fernen Geräusche, die ich hörte, wie Klagegeschrei. Ja, es waren verzweifelte Klageschreie. Ich konnte sie immer besser hören. Dann wurde das Licht blasser, dunkler, bis es beinahe erlosch. Es verlor immer mehr an Intensität und verfärbte sich erst gelblich und dann rötlich, dann tiefrot. In diesem Licht sah ich hinter der Schwelle, an der das Licht seinen Ursprung hatte, reine Seelen, die auf einen tiefen Brunnen zustürzten, einen Brunnen der Qual und der Verzweiflung. Und ich nahm etwas unendlich Böses wahr, zu dem all diese Seelen verdammt waren – nicht mit meinen Augen, sondern mit meinem Geist. Dieses ewige Böse machte mir Angst …«
    Tränen traten der tapferen Frau in die Augen und liefen ihr über die faltigen Wangen, als sie sich an diese Erfahrung erinnerte, die sie nicht hatte machen wollen und an die sie eigentlich nie mehr denken wollte. Ihre Enkelin neben ihr legte ihr tröstend die Hände auf die Schultern. Als die alte Dame sich wieder gefasst hatte, fuhr sie fort.
    »Ich habe gelesen, dass das auch anderen Menschen passiert ist. Dass das weiße Licht nicht immer der letzte Anblick derer ist, die beinahe sterben, dann aber doch zurückkehren. Dass es Menschen mit anderen Erfahrungen gibt.«
    »Aber das, was Ihnen geschehen ist, als Sie im Koma lagen, das ist noch nie zuvor passiert, soweit die Kirche weiß«, log Pater Cloister barmherzig und zog einige Dokumente aus seiner Aktentasche.
    »So ist es, Pater. So ist es. Keiner der Ärzte konnte mir er-klären, wie mir in einem ständig von einer Krankenschwester bewachten Bett auf der Intensivstation sämtliche Knochen an den Beinen brechen konnten. Von selbst, ohne jeden Grund, so dass ich jetzt ein Krüppel bin … Ich habe Angst, Pater. Was hat das alles zu bedeuten?«
    Albert Cloister wusste keine Antwort auf diese Frage. Er wünschte, er hätte eine gehabt. Er hätte gern gewusst, was er antworten sollte. Doch wie bei so vielen anderen Gelegenheiten konnte er sich im Angesicht des Unbekannten nur an sei-nen Glauben halten.
    »Beten Sie zu Gott und haben Sie keine Angst. Er wird es uns offenbaren, wenn er es für richtig hält. Haben Sie keine Angst.«
    Er reichte der alten Dame, die nun bitterlich weinte, beide Hände. Ihre Augen suchten die des Priesters, als wollte sie dahinterblicken, als wollte sie prüfen, ob er ihr eine ehrliche Antwort gegeben hatte. Tag und Nacht, unablässig quälte die Angst sie. Er versuchte, sie zu beruhigen. Doch auch er ver-spürte allmählich Angst. Eine gestaltlose Angst, deren eigentliche Ursache er noch nicht gefunden hatte.
    Ein Taxi brachte Albert Cloister zur Kathedrale Notre-Dame de Paris. Er verspürte das Bedürfnis, in diesem herrli-chen Gotteshaus zu beten, das die Menschen errichtet hatten, als sie Gott noch echte Verehrung entgegenbrachten. Es heißt, der Glaube könne Berge versetzen, doch er vermag noch viel mehr. Er kann sogar neue Berge errichten: die Ka-thedralen, Berge aus bearbeitetem Stein, durch den Glauben errichtet. Der tonnenschwere Stein von Notre-Dame musste einfach die Sorge erleichtern, die schwer und drückend auf ihm lastete.
    »DIE HÖLLE IST ÜBERALL«, fiel ihm wieder ein. So lautete die Inschrift an der Innenseite des Sargs jenes spanischen Priesters, dessen Heiligsprechung man hatte aussetzen müssen. Seine Knochen waren gebrochen. Irgendetwas hatte sie zerbrochen, während der Mann noch gelebt hatte. Man hatte ihn offenbar im Zustand der Katalepsie beerdigt, und er war im Sarg wieder erwacht. Doch diese Verletzungen hatte er sich nicht selbst beibringen können. Das war unmöglich. Pater Cloister hatte den Auftrag erhalten, den Vorfall zu untersuchen. Ende 2000 war er von der Kongregation für die Selig und Heiligsprechungsprozesse zu einer Gruppe von Priestern gekommen, die keinen offiziellen Namen hatte und sich der Erforschung des Verbotenen widmete – rätselhafter übersinnlicher Vorfälle, all dessen, was jenseits des

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