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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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sich gehen zu lassen. Was kümmerte ihn das alles noch? Sogar die Verdammnis. Welchen Sinn hatte es, den Untergang hinauszuzögern? Ein Jahr mehr, zehn, zwanzig … Und wenn es auch hundert oder tausend wären. Danach … Danach die Verdammnis. Ewig. Wozu also länger warten?
    Da sah er sie.
    Sie war ein kleines Mädchen mit krausen schmutzigen Haaren und einem abgetragenen Kleidchen. Sie wollte gerade die Straße überqueren. Von dort aus, wo er lag, sah Albert die Scheinwerfer eines Lastwagens näher kommen. Das Mädchen konnte sie nicht sehen. Sie sah nicht einmal hin. Sie war viel zu klein.
    Was machte sie da um diese Uhrzeit, ganz allein …?
    Und wen kümmerte das? Sollte der Lastwagen sie doch überfahren. So würde auch sie diese Welt verlassen und in den Strudel des Bösen gesogen werden. Irgendwann würde das ohnehin geschehen. Dieses Ende war so gut wie jedes andere. So böse wie jedes andere.
    Albert senkte kurz den Blick. Der Mond spiegelte sich in der Oberfläche der schmutzigen Pfütze. Doch die Spiegelung war so rein und unbeschmutzt wie der echte Mond oben am Himmel. Und da regte sich die einzige seelische Triebkraft, die Albert noch geblieben war, etwas, was seiner Seele von Geburt an innewohnte, etwas, was man besitzt und weder erwerben noch verlieren oder opfern kann; sein innerstes We-sen – das Holz, aus dem er geschnitzt war –, das im Unglück unverhofft und unversehrt aufschien – dies und allein dies ließ Albert aufstehen, ohne sich um sein eigenes Leid zu küm-mern. Für einen Augenblick vergaß er die Verletzungen an Körper und Seele und stürzte sich genau in dem Moment auf die Straße, als der Lastwagen vor den entsetzten Augen des kleinen Mädchens ein vergebliches Bremsmanöver einleitete.
    Albert schubste sie mit aller Kraft von der Straße. Sie wur-de auf den Randstreifen geschleudert, in Sicherheit. Doch Albert selbst wurde vom Lastwagen erfasst und viel weiter fortgeschleudert. Er landete rücklings mitten auf der Fahrbahn und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Nun konnte er den Mond, der ihn zu seiner Rettungstat angetrieben hatte, konnte er dessen Licht nicht mehr sehen.
    Auch sein eigenes inneres Licht, sein Lebenslicht, begann zu erlöschen.
     
    Daniel bekam beinahe keine Luft mehr. Dennoch spielte ein Lächeln um seine Lippen. Er lag im Bett, den Kopf leicht gedreht, und hatte den Blick unbeirrt aufs Fenster gerichtet, wo sein Blumentopf stand. Ein goldener Sonnenstrahl beleuchtete ihn. Dahinter zeichneten sich weiße Wolken vor einem tiefblauen Himmel ab.
    Daniel starb mit Blick auf seinen Blumentopf, und in die-sem Blick lag tiefes Glück. Er war weder traurig, noch hatte er Angst. Er verspürte nur tiefen Frieden und Freude: Die tote Pflanze hatte sich verwandelt. Sie war kein trockener Stengel mehr, sondern eine üppige rote Rose von unvergleichlicher Schönheit.
     
    Als der Rettungsdienst am Unfallort ankam, war Alberts Herz bereits stehengeblieben. In seinem Geist war die absolute Schwärze schon dem dunklen Tunnel gewichen, an dessen Ende das strahlende Licht wartete, das die Seelen anzog. Er kannte diese letzte Reise sehr gut. Und er wusste auch, was sich hinter diesem wohltätigen Licht verbarg: das absolute, ewige Böse. Tapfer machte er sich bereit, seine Seele Luzifer zu übergeben.
    Vor den Augen seines vom Körper getrennten Geistes zo-gen Tausende von Bildern aus seinem Leben vorüber. So erregend wie damals, als sie geschehen waren, lebhaft, real, erstanden Szenen aus seiner Kindheit und Jugend wieder: die Erinnerung an seinen armen Bruder, die Zuneigung und die Lehren seiner liebevollen Eltern, Freundschaften, die ersten Prüfungen des Lebens, seine Jugendliebe, die Berufung, Gott zu dienen, all die Schwierigkeiten, aber auch alle Belohnun-gen, die Freude und der Schmerz. Und schließlich der Schmerz. Der Schmerz und das Böse …
    Doch das Böse erschien nicht. Die Schwelle aus weißem Licht wich einem strahlenden Raum, in dem die Seelen sich an einer Herrlichkeit erfreuten, die mit den Mitteln der Sprache nicht zu beschreiben ist. Freude ergriff ihn. Er wusste, dass dies keine weitere List Luzifers war. Er verstand nicht, wieso, doch der Tod hatte ihn nicht in die erwartete Verdammnis geführt.
    Da trat ein alter Mann neben ihn, dessen Gesicht ihm vertraut vorkam. Es war Daniel. Er gab ihm die Hand. In der anderen Hand trug er eine Rose. Gemeinsam gingen sie wei-ter dem Licht entgegen. Daniel wirkte völlig verändert. Er lächelte und sagte zu

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