617 Grad Celsius
Hälfte abgestorben. Der Hirndruck war gefährlich gestiegen und störte die vegetativen Zentren. Gewebe hatte sich entzündet.
Als Ursache des Schlaganfalls galt ein Blutgerinnsel, das sich am Stent gebildet hatte, der ihm nach dem Infarkt ins Herz gepflanzt worden war. Das Gerinnsel hatte sich losgerissen, war in den Kopf gelangt und hatte dort eine wichtige Ader verstopft.
Doch gegen Morgen atmete ihr Vater wieder ruhiger. Wenn sie mit ihm sprach, bildete sie sich ein, dass seine Finger zuckten. Wie ein Zeichen, dass er zuhörte.
»Dass er die Nacht überstanden hat, ist allein Ihr Werk«, erklärte die Krankenschwester.
Anna heulte während der gesamten Fahrt zurück ins Elternhaus.
68.
Es war die Schlagzeile des Blitz , die Anna mit Anbruch der neuen Woche rehabilitierte: DIE SCHÖNE KOMMISSARIN – MORD AN JUNGEM KÜNSTLER AUFGEKLÄRT .
In seinem Artikel stilisierte Alex Vogel sie zur Heldin der Stadt. Am Telefon bedrängte er sie, mit ihm essen zu gehen. Noch immer war der Pressefritze auf Skandalstoff über den Ministerpräsidenten scharf. Vielleicht auch auf sie.
Thilo Becker würde überleben, hieß es am Montag im Präsidium. Das Messer hatte sein Herz verfehlt. Die Sepsis bekamen die Ärzte in den Griff. Ihn zu besuchen brachte Anna vorerst nicht übers Herz.
Im Namen des Behördenleiters zog Kriminalrat Engel die Suspendierung zurück. Dafür nahm Anna Urlaub, um ihren Umzug zu organisieren und Zeit für ihren Vater zu haben. Sie besuchte ihn zweimal am Tag, redete mit dem Klinikpersonal und gewann ein weiteres Stück an Gewissheit, dass es nur noch die Geräte waren, die Bernd Winkler vor dem Tod bewahrten.
Der Arzt deutete an, dass er ihr die Entscheidung überließ, wie lange das so gehen sollte – ein unerträglicher Gedanke für Anna.
Nachts schlief sie kaum. Aus Albträumen schreckte sie hoch und wähnte sich für Momente in Bosnien oder in Svens Gewalt. Sie zitterte und brauchte beide Hände, um ein Wasserglas oder die Kaffeetasse zu halten.
Dr. Hashemie meinte, das seien die üblichen Symptome des Sedativa-Entzugs, die sich bald legen würden.
Dann zog Anna in die neue Wohnung in der Stadt.
Der Mittwoch strahlte blau und klar, die Sonne wärmte Düsseldorf auf fast sommerliche Temperaturen und ließ die Blütenpracht in Parks und Gärten explodieren.
Anna fuhr noch einmal hinaus nach Holzbüttgen, um Abschied zu nehmen.
Das Haus lag still. Picasso hatte sie bei den Töchtern der Putzfrau untergebracht. Es war Anna schwer gefallen, aber eine Stadtwohnung war nicht das Richtige für den lebhaften Köter.
Sie schnupperte den Rest des Zigarrengeruchs im Arbeitszimmer und betrachtete die Fotos. Aus einer Laune heraus nahm sie am Schreibtisch Platz und startete den Computer.
Die Dokumente auf der Festplatte verlangten ein Passwort, das Anna nicht kannte. Aber das Startcenter von T-Online ließ sich öffnen – Internetzugang und E-Mail-Verkehr.
Anna stellte fest, dass Bernd Winkler in den letzten Tagen vor dem Schlaganfall unzählige Nachrichten verschickt und empfangen hatte. Korrespondenz mit Banken und verschiedenen Anwälten.
Auch Sven Arnold hatte Post geschickt. Anna öffnete einige der Mitteilungen. Meist hatte Sven im Telegrammstil Aufträge bestätigt, die sein Arbeitgeber ihm erteilt hatte.
Anna entdeckte eine Mail, die ihr Vater erhalten hatte, als er nach dem Herzinfarkt aus der Reha-Klinik heimgekehrt war.
Lieber Bernd,
Dienstag, acht Uhr, geht in Ordnung.
Aber du solltest dich noch etwas schonen.
In Sorge,
dein Sven
Eine Nachricht wie die anderen, nur weit vertraulicher im Ton. Ein weiterer Text hing unten dran. Es war die Anweisung, auf die Arnold reagiert hatte. Bernd Winkler hatte sie vermutlich noch aus der Klinik verschickt. Mit seinem Laptop, schätzte Anna.
>Sven,
>denk bitte dran, mich morgen pünktlich um acht abzuho-
>len. Ich werde in Essen
>erwartet. Die Dt. Bergbau AG brennt.
>Bernd
>PS: Unterschätz Anna nicht
Der letzte Satz elektrisierte sie. Der Text ging noch weiter.
>>Lieber Bernd,
>>habe den Tisch mit Dankesschreiben dekoriert, wie du es
>>wolltest.
>>Glaubst du wirklich, dass all die Beweise deiner ›guten
>>Taten‹ nötig sind,
>>um Anna auf dich einzustimmen?
>>Deine Furcht ist übertrieben, finde ich.
>>Sven
>>PS: Habe im Bunker eine alte Kinderzeichnung deiner
>>›Tochter‹ gefunden
>> und dazugelegt. Sie wird ihre sentimentale Wirkung
>>sicher nicht verfehlen.
>>Aber meinst du wirklich, du hast das nötig? Sie
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