62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
mir Garantie, daß ich nicht doch noch um die Baronie gebracht werde.“
Er ging weiter. In Gedanken sagte er sich:
„Ich habe jetzt bedeutend weniger Glück als früher. Das meiste mißlingt. Alles scheint sich seit letzter Zeit gegen mich verschworen zu haben, hier in der Hauptstadt und auch da droben an der Grenze. Jetzt nun habe ich es ganz besonders mit diesem Bertram zu tun. Soll ich ihn töten? Das wäre freilich das Sicherste. Aber, ist es denn unbedingt notwendig? Ohne die Kette kann er nichts machen, und vielleicht – ah, er ist nach Rollenburg, wer weiß was da geschieht! Er wird ganz sicher auf irgendeine Weise mit dem frommen Schuster zusammengeraten, und sein jugendlicher Unverstand reißt ihn dann zu irgend etwas hin, wodurch er mir ungefährlich wird.“
Und nach einer Pause fuhr er nachdenklich fort:
„Wenn er nur nicht unter dem Schutz dieses Fürsten von Befour stände! Dieser Mensch ist mir im höchsten Grad widerlich. Ich habe sogar die Ahnung, daß er imstande sei, mir gefährlich zu werden. Ah, sapperment! Wenn man an den Wolf denkt, so ist er da!“
Er war nämlich aus der Wasserstraße in die Parallelstraße derselben gekommen, in welcher der Oberst von Hellenbach wohnte. Vor der Tür seines Hauses stand die Schlittenequipage des Fürsten von Befour, welcher soeben aus dem Tor trat und von dem Obersten bis zum Schlitten begleitet wurde. Der Baron blieb stehen.
„Das paßt!“ sagte er zu sich. „Ich spiele ihm einen Streich. Ich schicke ihn dem Bertram hinterher nach Rollenburg. Vielleicht begeht er eine Dummheit, durch welche er sich blamiert. In dieser Verkleidung kennt er mich nicht; ich darf es also wagen, ihn anzusprechen.“
Er schritt weiter bis zur Straßenecke, wo er stehenblieb. Der Schlitten kam, jetzt noch in langsamem Tempo. Der Baron trat vom Trottoire herab und soweit vor, daß der Schlitten hart an ihm vorüber mußte.
„Durchlaucht!“ rief er dem Fürsten zu.
Dieser hörte es und ließ halten. „Was wünschen Sie?“ fragte er.
„Ich wollte soeben zu Ihnen.“
„Zu mir?“ fragte der Fürst verwundert. „Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie denn?“
„Ein Bekannter Robert Bertrams. Sein Pflegevater war mein Gevatter. Bertram sendet mich zu Ihnen. Ich kenne zufälligerweise Ihre Equipage und habe mir erlaubt, Sie anzurufen.“
„Bertram? Ist er nicht zu Hause? Aus welchem Grund schickt er Sie zu mir?“
„Um sich zu entschuldigen. Er wird in dieser Nacht gar nicht nach Hause kommen.“
„Warum?“
„Er ist verreist.“
„Das ist doch kaum denkbar! Wohin?“
„Nach Rollenburg. Er war sehr aufgeregt und schien es außerordentlich eilig zu haben. Ich befand mich zufälligerweise auf dem Bahnhof; er sah mich, und da kein anderer Bote zu finden war, dem er sich anvertrauen mochte, und auch keine Zeit zum Schreiben blieb, so bat er mich, Sie um Entschuldigung zu bitten, wenn er gezwungen sein sollte, Sie von Rollenburg aus telegraphisch um Geld zu ersuchen.“
Die Sache kam dem Fürsten verdächtig vor. Er fragte:
„Wie kommt es aber, daß ich Sie hier sehe? Sie sollten zu mir gehen; aber diese Straße liegt doch gar nicht in der Richtung von dem Bahnhof nach meiner Wohnung!“
„Ich hatte vorher eine Bestellung des Mechanikus Fels auszuführen, welcher sich bei Bertram befand. Der, an den er mich schickte, war ausgezogen, und es verging eine lange Zeit, ehe ich seine Wohnung fand.“
„Wer ist dieser Fels?“
„Ein guter Freund von Bertram, die Geliebte von dessen Pflegeschwester Marie.“
„Ich besinne mich. Hat er nicht jüngst ein kleines Unglück gehabt, dieser Fels?“
„Ja, wegen Arbeitsmaterials. Er ist heute entlassen worden und hat Bertram am Schloßteich getroffen. Er ist dann mit ihm sofort nach Rollenburg.“
„Was wollen die beiden dort?“
„Das ist eine heikle, vielleicht gar eine gefährliche Geschichte. Ich befürchte sehr, daß die jungen Leute da eine Dummheit begehen werden. Ich habe gewarnt und abgeraten, aber es hat leider keinen Erfolg gehabt.“
„Eine gefährliche Geschichte? Erklären Sie sich deutlicher!“
„Nun, es handelt sich um Marie Bertram.“
„Ach so! Was ist mit ihr?“
„Ich weiß nicht, ob Durchlaucht wissen, daß sie bei einer gewissen Madame Groh in Kondition gewesen ist?“
„Ich glaube, davon gehört zu haben.“
„Nun, diese Groh ist berüchtigt. Sie ist eine – eine Magdalenenhändlerin, eine Verführerin.“
„Meinen Sie vielleicht die Madame Groh, welche in der zweiten
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