62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
Uhland, indem er eine sehr nachdenkliche Miene sehen ließ.
Er vermutete, hier einen kleinen Gewinn zu machen. Er wollte sich dieses Schriftstellers bemächtigen, um ihm einige Goldstücke zu entlocken, doch lag ihm der Gedanke nahe, daß derselbe vielleicht Magda Weber oder Marie Bertram kennen könne. Das wäre gefährlich gewesen, und darum nahm er sich vor, die Angelegenheit so zu arrangieren, daß eine Verlegenheit dabei nicht zu befürchten war.
„Doch, sagen Sie!“ bemerkte Petermann. „Wissen Sie das? Sind Sie mit der Melitta bekannt?“
„Ja.“
„Das ist mir lieb. Sie werden da die Freundlichkeit haben können, mir ihre Adresse mitzuteilen?“
„Gern. Vielleicht bin ich imstande, noch mehr zu tun.“
„Wieso?“
„Wollen Sie der Melitta sagen, welchen Zweck Sie in ihrem Haus verfolgen?“
„Nein.“
„Sie würde es aber dennoch merken.“
„Wieso?“
„Das können Sie sich leicht selbst sagen. Ich vermute nämlich, daß Sie nicht die Absicht haben, die Liebe einer der jungen Mädchen zu gewinnen.“
„Allerdings nicht.“
„Sie werden also still und schweigsam dasitzen und Ihre Beobachtungen machen. Das fällt auf, das stört; das ist unangenehm. Sie müssen gewärtig sein, Sie werden aufgefordert, das Lokal zu verlassen.“
„Das wäre mir freilich unlieb!“
„Ist aber beinahe unvermeidlich. Ich kenne nur eine einzige Art und Weise für Sie, in aller Bequemlichkeit das Leben und Treiben eines solches Ortes kennenzulernen.“
„Darf ich um Mitteilung bitten?“
„Gewiß! Ich beginne, mich für Sie zu interessieren. Das Buch, welches Sie zu schreiben beabsichtigen, muß ein höchst anziehendes werden. Ich bin jedenfalls einer der ersten, welche es kaufen, und darum möchte ich Ihnen bei Ihren Vorstudien behilflich sein. Aber ich sage Ihnen aufrichtig, ohne Opfer Ihrerseits wird es wohl nicht abgehen.“
„Ich denke, sie werden nicht zu bedeutend sein. Ein Schriftsteller ist gewöhnlich kein Millionär.“
„Wollen sehen. Wenn Sie Unannehmlichkeiten vermeiden wollen, so muß die Melitta die Absicht erfahren, welche Sie verfolgen.“
„Ich befürchte aber, daß sie mir dann den Zutritt wohl kaum gestatten wird!“
„Es wird allerdings einer gewissen Empfehlung bedürfen.“
„Ich bin in Rollenburg unbekannt. Wer soll mich empfehlen?“
Er warf diese Bemerkung sehr gleichmütig und achselzuckend hin, obgleich er innerlich nicht so gleichgültig gestimmt war. Er begann nämlich, seinen Mitpassagier zu durchschauen. Dieser Mensch war trotz seiner ehrbaren Erscheinung vielleicht doch nicht das, wofür er gelten wollte. Er stand mit der Melitta wahrscheinlich in noch anderer Beziehung, als er merken ließ.
Uhland aber fühlte sich befriedigt. Er hatte den Schriftsteller auf dem Punkt, wohin er ihn haben wollte. Darum erklärte er mit selbstgefälliger Miene:
„Ich werde Sie empfehlen.“
„Sie? Sind Sie mit der Melitta so bekannt, daß sie auf Ihr Fürwort hören wird?“
„Ja. Oder weisen Sie mein Anerbieten vielleicht ab?“
Petermann hätte allerdings am liebsten eine solche Abweisung ausgesprochen; aber er sagte sich, daß dieser sogenannte Rentier ihm dann wohl hinderlich sein werde. Aus diesem Grund antwortete er:
„O nein. Ihre Freundlichkeit kommt mir im Gegenteil sehr dankenswert vor.“
„Nun, dann sagen Sie mir, zu welcher Zeit Sie dem Haus der Melitta Ihren Besuch machen wollen.“
„Möglichst bald.“
„Noch heute abend?“
„Jedenfalls. Ich komme ja nur zu diesem Zweck nach Rollenburg. Am erwünschtesten wäre es mir, wenn ich sofort nach der Ankunft am Bahnhof hingehen könnte.“
„Schön! Aber, wieviel gedenken Sie bei einem solchen Besuch zu verwenden?“
„Ich habe keine Ahnung von den Ausgaben, welche da erforderlich sein werden.“
„Nun, da Sie nur als Zuschauer, als Beobachter tätig sein wollen, so wird man ein Eintrittsgeld von Ihnen fordern, wie ich aus Erfahrung vermuten darf.“
„Wie hoch wird dieses sein?“
„Zehn Gulden wenigstens.“
„O weh!“
„Ist das zuviel?“
„Für mich beinahe. Und dazu sagten Sie, wenigstens!“
„Nun, ich will mit der Melitta sprechen, um zu sehen, ob sie sich eine Kleinigkeit abhandeln läßt. Freilich ist dies nicht die einzige Ausgabe, der Sie sich unterwerfen müssen.“
„Was noch?“
„An einem solchen Ort wird Wein getrunken, und zwar sehr viel Wein. Fräulein Melitta hat ungeheure Abgaben zu entrichten. Sie muß also große Einnahmen erzielen. Wer ihr
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