Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sonstiges Vergnügen zu arrangieren, stets wendete man sich an ihn, und dann konnte man sicher sein, daß er irgendeine wunderliche, seltsame Idee zum Vorschein bringen werde, welche dann die allgemeinste Heiterkeit zur Folge hatte.
    Heute nun war sein Geburtstag. Es war ihm von allen Seiten, sogar vom hohen Regimentskommandeur aus, gratuliert worden; aber er hatte doch nur einige der ihm näherstehenden Kameraden eingeladen – sieben, wie bei seiner Eigentümlichkeit kaum anders zu erwarten stand. Und ebenso ungewöhnlich war die Bedingung gewesen, daß sie sich in Zivil einfinden sollten. Sie hatten, da es sich um die Geburtstagsfeier des ‚Regimentsneffen‘ handelte, bereitwilligst Urlaub erhalten.
    Am Morgen hatte man einen Ritt in die Umgegend unternommen, am Mittag sehr opulent gefrühstückt und beim Einbruch des Abends ebenso fein diniert. Nach oder vielmehr schon bei dem Diner hatte einer der Gäste die Bemerkung gemacht, daß die Feier des heutigen Tages so ganz gewöhnlich verlaufen sei.
    „Das ist wahr“, fiel ein anderer ein. „Hagenau, du hast dich ausgegeben! Du bist eines pyramidalen Gedankens, eines so kolossalen Einfalles nicht mehr mächtig!“
    Der lange Lieutenant machte ein pfiffiges Gesicht und sagte:
    „Irrtum, riesenhafter Irrtum von euch!“
    „So hast du etwas in petto?“
    „Will es meinen! Und was!“
    Nachdem er mit seiner schnarrenden Stimme diese Versicherung gegeben hatte, küßte er alle zehn Fingerspitzen und streckte sie empor, als ob es sich um etwas ganz und gar Himmlisches handle.
    „Was ist's? Was? Heraus damit!“ riefen sieben Stimmen.
    „Entdeckungsreise“, antwortete er.
    „Das ist vielversprechend! Aber wohin?“
    „Nach Kreta.“
    Alle lachten. Er machte ein sehr erzürntes Gesicht und sagte:
    „Was gibt es da zu feixen? Kennt ihr Anadyomene?“
    „Die schaumgeborene Venus, von Apelles gemalt? Ich verstehe! Venus Anadyomene ist der Sage nach am Strand der Insel Kreta aus dem Meer gestiegen!“
    „Richtig!“ schnarrte Hagenau. „Hast deine Mythologie noch nicht ganz vergessen!“
    „Was ist's aber nun mit dieser Venus?“
    „Wollen ausziehen, um ihre Höhle zu entdecken. Oder wißt ihr nicht, daß sie sich in einer Höhle verbarg, als sie ihre Schönheit nicht mehr in den Wellen verstecken konnte?“
    „Hagenau, Alter, du kennst diese Höhle!“
    „Hm! Will noch nichts verraten! Habe aber einen köstlichen Gedanken! Famoser Einfall! Mein eigenes Fabrikat! Stammt von mir selbst! War kürzlich in der Venushöhle.“
    „Wo? Wo?“
    „Pst! Kann es jetzt noch nicht sagen. Aber, weiß Gott, die Venus, die echte, wahre, reine Venus! Bin ganz weg gewesen, ganz perplex, die reine Ohnmacht, in die ich fiel!“
    „Schneide nicht auf!“ warnte einer der Kameraden.
    „Aufschneiden?“ fragte er. „Habt ihr mich vielleicht als einen Aufschneider kennengelernt, he? Und hier kann erst recht von einer Übertreibung keine Rede sein. Hier handelt es sich um eine Schönheit, bei welcher der Ausdruck Venus noch nichts, noch gar nichts ist! Die Sage geht, daß die Venus rötliches Haar besessen, und daß sie sogar geschielt habe. Bei der aber, welche ich meine, ist von diesen Mängeln keine Rede. Sie ist ohne Fehler! Ich schwöre es bei meinem Bart und was noch mehr ist, bei meiner Taille!“
    Alle lachten über die Begeisterung, mit welcher er diese Lobrede vorbrachte. Er aber ließ sich dadurch keineswegs beirren, sondern er behauptete:
    „Es gibt keinen unter euch, bei dem ein Grund vorhanden ist, hier zu lachen. Keiner von euch hat jemals ein solches Mädchen gesehen!“
    „Oho!“ schallte es rundum.
    „Oho!“ antwortete er wieder. „Vorige Woche wurde der Tochter des Bürgermeisters ein Ständchen gebracht. Man sang da das Lied: Ich kenn ein' Weiler fern im Grund. Da kommen die Zeilen vor:
    Und als ich kam, und als ich's sah.
Ich weiß es nicht, wie mir geschah.
Röslein jung, o Röslein schön.
Ach hätt' ich nimmer dich gesehn.
    Kennt ihr vielleicht das Lied?“
    „Ich denke, daß es alt genug ist, um uns bekannt zu sein!“ bemerkte der Nachbar.
    „Nun gut! An diese Zeilen habe ich gedacht, als ich die betreffende Schönheit erblickte.“
    „Du hast also gewünscht, sie nie gesehen zu haben?“
    „Ja, denn meine Ruhe ist nun hin, und mein Herz ist schwer, heißt es in irgendeiner Oper.“
    „Armer Teufel! Du wirst ganz poetisch. Das ist ein sehr schlimmes Zeichen. Wie geht dein Puls?“
    „Hier fühle ihn!“
    Er streckte die Hand hin. Der

Weitere Kostenlose Bücher