62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
niederzusetzen. Dieser Tempel der Schande machte einen sehr negativen Eindruck auf sie.
„Ich dachte bereits, sie wollte uns Marie schicken“, sagte Fels.
„Ich auch. Vielleicht ist es die zweite.“
„Möglich. Welch ein Haus! Mir ist es, als ob ich bis an den Hals im Schlamm stecke, der über mir zusammenschlagen will.“
„Und mir klopft das Herz, als ob ich ein fürchterliches Verbrechen beabsichtigte. Hätten wir diesen Ort doch nur bald hinter uns!“
„Still, man kommt!“
Die Melitta kehrte zurück.
„Sie wird sogleich kommen“, sagte sie. „Sie wird zwei Flaschen Wein mitbringen, welchen Sie mir natürlich zu bezahlen haben, obgleich Sie sich den Anschein geben müssen, als ob Sie den Wein von mir, Ihrer Verwandten, gratis erhielten. Hier ist die Klingel, wenn Sie etwas brauchen. Sobald Sie daran drücken, wird ein Dienstmädchen kommen. Jetzt will ich gehen. Machen Sie Ihre Sache gut.“
Sie entfernte sich.
„Ich bin außerordentlich neugierig, was für eine kommen wird!“ meinte Bertram.
„Eine Unschuldige, die wir verführen sollen!“
„Welch eine Schlechtigkeit! So also geht es in diesen Häusern zu!“
„Und so wird man es mit Marie auch gemacht haben.“
„Dann wehe ihnen!“
„Wie wollen wir uns denn zu dem braven Mädchen verhalten?“
„Jedenfalls nicht wie Schufte!“
„Du meinst, daß wir aufrichtig sein sollen?“
„Ja.“
„Werden wir uns da nicht das Spiel verderben?“
„Nein. Der liebe Gott steht nur den Guten bei.“
„Aber wie nun, wenn mit der zweiten wirklich Marie gemeint ist. Sie soll doch nur dann zu uns gelassen werden, wenn es uns gelingt, die erste zu verführen.“
„So tun wir so, als ob wir sie verführt hätten.“
„Wird sie sich das gefallen lassen?“
„Wir werden es abwarten müssen.“
Wilhelm Fels besaß mehr Erfahrung in Beziehung auf das gewöhnliche Leben, während Robert Bertram bedeutend mehr Intelligenz, also Scharfsinn und angeborene Klugheit hatte. Sie kamen beide, ohne es einander auszusprechen, darin überein, daß mit Gewalt nichts zu erreichen sei.
Es klopfte an, und Bertram ging, um die Tür zu öffnen. Magda Weber trat ein. Sie trug in den Händen einen Servierteller, auf welchem zwei Flaschen und drei leere Gläser standen. Sie verbeugte sich höflich und sagte:
„Ich soll zu den beiden Cousins gehen. Sind Sie das, meine Herren?“
Als Robert die Tür öffnete, hatte er draußen im Hintergrund eine weibliche Gestalt stehen sehen. Er schloß daraus, daß man lauschen werde. Darum antwortete er mit lauter Stimme, so daß es draußen vor der Tür gehört werden konnte:
„Ja, mein schönes Kind, wir sind es.“
Sie errötete bei dieser ungewöhnlichen Anrede. Doch ließ sie sich keine Verlegenheit merken und erklärte:
„Meine Herrin sendet Ihnen hier eine Erquickung. Sie sagte, Sie wären weit gereist und würden vielleicht Durst haben.“
„Da hat sie recht. Bitte, schenken Sie ein!“
Während sie dieser Aufforderung Folge leistete, ruhten die Augen der beiden Jünglinge mit Wohlgefallen auf ihr. Sie bemerkte das und errötete. Also ein so gutes und schönes Mädchen sollte hier in das Verderben gestürzt werden! Bertram ergrimmte bei diesem Gedanken. Doch blieb er jetzt noch der ihm auferlegten Rolle treu, indem er fragte:
„Hat Ihnen Fräulein Melitta außerdem noch einen Auftrag gegeben, Fräulein Magda?“
„Wie, Sie kennen meinen Namen?“
„Unsere Cousine hat ihn uns gesagt. Kennen Sie auch den unserigen?“
„Nein.“
„Nun, wir führen denselben italienischen Namen, den meine Verwandte trägt. Wir gehören alle in die alte Familie der Melitta. Aber auf meine Frage zurückzukommen, hat Ihnen die Cousine noch einen Auftrag in Beziehung auf uns erteilt?“
„Ja“, antwortete sie befangen.
„Welchen?“
„Ich weiß nicht, ob es Ihnen lieb sein wird, wenn ich ihr Gehorsam leiste. Ich soll Sie nämlich bedienen.“
„Wie lange?“
„Solange Sie es wünschen.“
„Haben wir Ihnen vielleicht zu klingeln, wenn wir Sie brauchen, Fräulein Magda?“
„Nein. Ich soll hier bleiben. Ich denke aber, daß Sie mich entlassen werden. Dort ist ja die Glocke. Ich werde kommen, sobald Sie das Zeichen geben.“
„Ist es Ihr Wunsch, daß wir Sie entlassen?“
„Ja“, antwortete sie aufrichtig.
„Warum?“
Sie senkte den Blick und antwortete verlegen:
„Muß ich Ihnen das wirklich sagen?“
„Nein. Ich verstehe Sie auch ohne Worte. Sie haben da drei Gläser mitgebracht. Damit
Weitere Kostenlose Bücher