62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
sein zu dürfen. –“
Zur frühesten Zeit, in welcher der Chefredakteur überhaupt zu sprechen war, wurde ihm Mademoiselle Leda gemeldet. Sofort nach ihrem Eintritt flog sie auf ihn zu, ergriff seine beiden Hände und sagte im Ton der Begeisterung:
„Vortrefflich! Sogar unübertrefflich! Das haben Sie ganz unvergleichlich zustande gebracht. Dafür muß ich Sie augenblicklich belohnen, mein lieber, mein liebster, mein allerliebster Herr-Doktor!“
Sie ließ seine Hände den ihrigen entgleiten, legte ihm die Arme um den Hals und küßte ihn. Er ließ sich diese Liebkosungen gefallen, machte ein etwas überraschtes Gesicht, schüttelte den Kopf und fragte:
„Vortrefflich soll ich es gemacht haben? Sogar unübertrefflich? Was denn?“
„Nun, Ihre Kritik über die Starton.“
„Ach so! Nun, ich habe da jedenfalls die Wahrheit gesagt. Geistreich braucht man da nicht zu sein. Jedenfalls ist aber nicht das mindeste Verdienst dabei.“
„Die Wahrheit?“ sagte sie, ihn verständnisvoll anlächelnd. „Sollten Sie wirklich falsch unterrichtet sein?“
„Wieso?“
„Kommen Sie auf das Sofa!“
Sie zog ihn neben sich auf den weichen Sitz. Er legte den Arm um ihre üppige Gestalt und fragte:
„Also warum denken Sie, daß ich falsch unterrichtet bin?“
„Die Starton ist eine ausgezeichnete Tänzerin.“
„Ich bin stets gut informiert!“
„Aber dann müßten Sie doch auch wissen, daß sie –“
„Daß sie ausgezeichnet tanzt? Ja, das weiß ich allerdings.“
„Man sagt, sie tanze weniger des Erwerbs wegen, als weil sie geradezu von ihrem Genie zu dieser Kunst getrieben wird.“
„Ich hörte davon.“
„Sie soll sehr reich sein, so daß sie also dieser Kunst eigentlich gar nicht bedarf.“
„Auch das weiß ich.“
„Aber, Herr Doktor –!“
„Was denn? Sie machen ein ganz verwundertes Gesicht!“
„Nun, wie können Sie, da sie das alles wissen, heute diesen Artikel in ihrem Blatt bringen?“
„Das erraten Sie nicht?“
„Nein.“
„Ich brachte ihn Ihnen zuliebe.“
„Wirklich? Wirklich?“
„Ganz gewiß!“
„Dann bin ich Ihnen allerdings den größten Dank schuldig, den es nur geben kann!“
„Darf ich mir diesen Dank nehmen?“
„Ich wüßt nicht, woher?“
„Oh, von Ihren schönen, süßen Lippen. Kommen Sie!“
Er zog sie an sich und küßte sie wiederholt auf den Mund. Sie gab sich dieser Zärtlichkeit für einige Augenblicke hin; dann entwand sie sich ihm, drohte ihm mit dem Finger und sagte:
„Herr Doktor, Sie bringen mich in Verlegenheit!“
„Das bezweifle ich!“
„Oh, gewiß!“
„Den Grund möchte ich wissen.“
„Sie sind – verheiratet!“
„Ich? Ah, sie haben nach mir gefragt?“
„Nein.“
„Wie können Sie da behaupten, daß ich verheiratet bin?“
„Ich vermute es.“
„Ach so! Wäre das ein Unglück?“
„Ein Unglück nun wohl nicht. Aber ich muß mich vor Ihnen in acht nehmen!“
„Warum?“
„Sie werden mir gefährlich.“
Bei diesen Worten rückte sie von ihm ab.
„O weh!“ lachte er. „Ich Ihnen gefährlich! Ich bin kein Jüngling, und ein Adonis war ich auch niemals, selbst während meiner Jugendzeit nicht.“
„Dann wissen Sie wohl nicht, daß der Geist einer gebildeten Dame mehr imponiert als die Gestalt.“
„Das soll wohl heißen, Sie halten mich für geistreich?“
„Natürlich!“
„Sie kleine, liebe Lügnerin! Kommen Sie her. Das muß unbedingt mit einem Kuß bestraft werden!“
Er streckte die Hände nach ihr aus, Sie aber wehrte ihn ab und sagte zurückhaltend:
„Nein, nicht mehr küssen! Sie dürfen Ihre Pflichten gegen Ihre Frau nicht verletzen!“
„Pah! Ich dachte nicht, daß Sie so penibel sind.“
„Oh, auch eine Tänzerin hat ein Gewissen!“
„Aber ein sehr nachsichtiges!“
„Sie irren. Ist Ihre Frau jung?“
„Nein.“
„Schön?“
„Noch weniger.“
„Aber liebenswürdig?“
„Das am allerwenigsten!“
„Dann bedaure ich Sie und entschuldige Sie zu gleicher Zeit.“
„Herzlichen Dank! Wenn Sie mich entschuldigen, darf ich wohl hoffen, daß Sie mir ein liebesbedürftiges Herz zutrauen?“
„Warum nicht?“
„Nun, Liebe will Erhörung finden. Soll ich mich umsonst nach einem Kuß von Ihnen sehnen?“
„Nein. Hier ist meine Hand!“
„Ein Handkuß? Hm! Mit dem nimmt nur ein Kutscher fürlieb, der froh ist, wenn er zum Neujahr seiner Gnädigen den Handschuh küssen darf.“
„Nun gut. Also hier!“
„Die Wange? Sie sind eine allerliebste Schelmin.
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