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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gesprochen?“ fragte sie schnell, um von dem unangenehmen Thema abzukommen.
    „Ja. Sie war bereits vorher bei mir gewesen. Sie hat die ganz richtige Ansicht gehabt, daß der Direktor denn doch derjenige ist, in dessen Hand die Fäden zusammenlaufen. Kennen Sie die Dame persönlich?“
    „Noch nicht.“
    „Aber per Renommee natürlich?“
    „Nicht gar zu sehr“, antwortete sie leichthin.
    „Das ist schade. Sie ist nicht nur eine Künstlerin ersten Ranges, sondern auch eine durch und durch edle Weiblichkeit, was leider unter den Damen des Balletts nicht oft gesagt werden kann.“
    „Ich hoffe, nicht hinter ihr zurückstehen zu müssen!“
    „In welcher Beziehung?“
    „In beiden Beziehungen, als Weib und Künstlerin.“
    „Mademoiselle, ich sage Ihnen offen, daß es keine Empfehlung ist, sich bei mir mit Unwahrheiten einzuführen. Miß Starton würde so etwas verschmähen. Und sodann ist die künstlerische Auffassung dieser Dame eine wahrhaft geniale. Sie ist in äußerer Beziehung eine Schönheit, aber eine unnahbare. So ist auch jede Figur, welche sie tanzt, von bezaubernder Schönheit, und doch getragen und verklärt von einer sittlich strengen Reinheit, welche der göttlichen Natur der Kunst entspricht. Ich sage Ihnen aufrichtig, daß Sie eine Gegnerin haben werden, welche sehr schwer oder unmöglich zu besiegen sein wird.“
    Sie zuckte die Achseln und antwortete kurz:
    „Ich vertraue trotzdem!“
    Er nickte leise mit dem Kopf und meinte dabei:
    „Worauf?“
    „Auf den Erfolg.“
    „In ihrer Kunst oder in Ihrer Intrige?“
    „Sie irren sich, Herr Direktor, wenn Sie mich für eine Intrigantin halten!“
    „Wollen es hoffen. Ich verhehle es nicht, daß man mich vor Ihrem diplomatischen Talent gewarnt hat.“
    „Die Starton etwa?“ brauste sie auf.
    „Nein. Diese Dame hat kein Wort von Ihnen gesprochen. Morgen hoffentlich werden Sie sich vorgestellt werden. Meine Weisungen werden Ihnen durch den Theaterläufer zugehen. Adieu, Mademoiselle!“
    Sie mußte sich unter einer tiefen Verbeugung zurückziehen. Draußen ballte sie die Hände.
    „Hier ist sie mir also zuvorgekommen!“ murrte sie. „Dieser Direktor ist ein Pedant ohne Geist und Kenntnis. Er wird nie mein Freund sein, aber auch ich nie seine Verbündete. Jetzt nun zum Kapellmeister. Er soll geizig und habsüchtig sein. Fassen wir ihn bei dieser Handhabe an.“
    Sie fand ihn zwischen Stößen von Partituren vergraben. Er schrieb eilfertig Noten. Vielleicht hatte er etwas zu arrangieren. Sie hatte ihren Namen sagen lassen, dennoch aber fragte er bei ihrem Eintritt, ohne von seinen Noten aufzusehen:
    „Wer?“
    „Mademoiselle Leda.“
    „Gleich.“
    Sie blieb geduldig an der Tür stehen, obgleich er noch einige Seiten schrieb. Endlich spritzte er den Gänsekiel aus und drehte sich zu ihr herum. Er hatte ein hageres, wachsbleiches Gesicht und große, dunkle Virtuosenaugen. Seine lange Nase hatte einen breiten Rücken; der Mund war sehr breit und fast ohne sichtbare Lippen, und das Kinn fast übermäßig entwickelt. Sein Gesicht war dasjenige eines Geizigen. Seine Stimme klang kalt und ohne Metall, als er sagte:
    „Sie konnten sich setzen. Was wollen Sie?“
    „Ich hielt es für meine Pflicht, mich Ihnen vorzustellen, Herr Kapellmeister.“
    „Schön. Und wozu?“
    Diese Frage brachte sie in Verlegenheit, doch antwortete sie:
    „Es ist doch wohl nötig, daß Sie mich vor meinem Auftreten kennenlernen.“
    „Keineswegs.“
    Sie blickte ihn erstaunt an. Daher erklärte er:
    „Es wird das Ballett ‚Königin der Nacht‘ gegeben, zweimal hintereinander. Erst treten Sie auf, und dann die Amerikanerin. Sie beide haben die ‚Königin‘ schon oft getanzt, darum ist eine Probe nicht für nötig gehalten worden. Welche besser gefällt, die wird nach kurzem Gastspiel engagiert. Eigentlich hatten Sie also nicht notwendig, mich zu inkommodieren.“
    „Und doch. Es war meine Absicht, Ihnen eine Frage vorzulegen, welche allerdings rein geschäftlicher Natur ist.“
    Da horchte er auf.
    „Welche Frage meinen Sie?“
    „Ohne Umschweife gesagt, die Geldfrage.“
    Da bekam sein Gesicht auf einmal Farbe, und als er sie jetzt forschend anblickte, war es ihr, als ob er eigentlich schielende Augen habe.
    „Was könnte es in dieser Beziehung zwischen Ihnen und mir zu erörtern geben?“ erkundigte er sich.
    „Das ahnen Sie nicht?“
    „Nein.“
    „Gibt es denn hier keine Orchestertantieme?“
    „Nein.“
    „Wirklich nicht?“ fragte sie noch

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