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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ihre Existenz sich am angenehmsten gestalten läßt.“
    „Oh, diese Existenz hängt noch zwischen den Wolken!“
    „Nein, nein; sie ist bereits beschlossene Sache.“
    „Die Hand darauf!“
    „Hier!“
    „Herrlich! Nun abertausend Küsse zur Belohnung!“
    Sie zog ihn an sich und bemühte sich, ihm zu beweisen, daß sie ein höchst dankbares Herz besitze.
    Draußen stand Jean in gebückter Haltung vor dem Schlüsselloch und beobachtete das küssende Paar.
    „Tausend Donner!“ brummte er mißvergnügt vor sich hin. „Der alte Galgenstrick ist doch ein beneidenswerter Kerl! Diese Leda hat Geist und Temperament. Ein Kuß von ihr muß nicht übel sein.“
    Als er hörte, daß sie sich verabschiedete, zog er sich von der Tür zurück. Sie kam, drückte die Tür zu, blieb bei ihm stehen und griff in die Tasche. Sein auf sie gerichteter, lüsterner Blick sagte ihr, daß sie mit einem Trinkgeld hier nicht die größte Freude anrichten könne. Darum fragte sie schnell entschlossen:
    „Wie nennt man Sie?“
    „Jean.“
    „Gut, mein lieber Jean. Geld und Gut habe ich nicht, aber was ich habe, das gebe ich Ihnen. Hier, nehmen Sie!“
    Sie hielt mit beiden Händen seinen Kopf fest und gab ihm zwei – drei Küsse.
    „So! Sind Sie zufrieden?“
    „Königlich!“ antwortete er, sich den Mund abwischend.
    „Nächstens mehr, wenn Sie verständig sind!“
    Damit war sie zur Tür hinaus. Zu gleicher Zeit erklang aber auch die Glocke des Intendanten. Jean mußte zu ihm hinein. Sein Herr sah ihn an und fragte sogleich:
    „Was hast du? Was ist mit dir?“
    „Mit mir? Was soll sein?“
    „Du bist rot im Gesicht.“
    „Wirklich?“
    „Ja. Was hat das für einen Grund?“
    „Ich habe mich tief gebückt, um einen Schlüssel aufzuheben.“
    „Ach so! Hat dir die Leda ein Trinkgeld gegeben?“
    „Nein.“
    „Das wundert mich, da sie so angenehme Umgangsformen besitzt. Was sagst du zu ihr?“
    „Kein Wort.“
    „Wie? Kein Wort? Warum?“
    „Ich kann kein Wort zu ihr sagen, weil sie nicht da ist.“
    „Wortklauber! Ich denke, daß du mich verstanden hast.“
    „Nun, sie ist eine ganze Künstlerin.“
    „Gewiß!“
    „Nicht nur Tänzerin, sondern auch Schauspielerin.“
    „Das ist wahr. Und was für eine berückende Stimme sie hat. Ich glaube, daß auch eine tüchtige Sängerin aus ihr zu machen wäre. Sie ist ein sehr vielseitiges Talent. Was denkst du? Wollen wir sie engagieren?“
    „Hm! Was wollen wir mit dieser kalten Amerikanerin!“
    „Richtig! Sie mag dahin gehen, woher sie gekommen ist. Mademoiselle Leda elektrisiert. Sie ist nicht bloß Künstlerin, sondern auch Weib, und das letztere ist nicht weniger wert als das erstere.“
    Und diejenige, welche auf diese Weise gelobt wurde, lachte draußen vor sich hin und sagte zu sich:
    „Diese beiden alten Gecken habe ich im Sack. Einer ist so widerlich wie der andere, aber man muß sich fügen. Jetzt nur noch zum Direktor, zum Kapell- und zum Ballettmeister, damit die Amerikanerin mir nicht abermals zuvorkommt.“
    Sie traf den Direktor zu Hause und wurde sofort vorgelassen. Sie trat in ihrer kecken, zuversichtlichen Weise auf, knickste in koketter Weise und zeigt dann, auf seine Anrede wartend, ein bezaubernd sein sollendes, siegesgewisses Lächeln.
    Der Beamte machte einen bedeutenden Eindruck. Von hoher Gestalt, besaß er eine geistig ausgearbeitete Physiognomie und scharf ausgeprägte Züge, welche von Nachdenken und anhaltender Arbeit erzählten. Doch wurde dieser Ernst durch einen Zug des Wohlwollens gemildert, welcher das Gesicht verschönerte.
    Dieser Zug verschwand, als er jetzt sein Auge auf der Tänzerin ruhen ließ.
    „Setzen!“ sagte er kurz, indem er mit der Hand nach einem Stuhl deutete.
    „Haben Sie bereits Besuche gemacht?“ fragte er dann, als sie Platz genommen hatte.
    „Nein“, antwortete sie. „Sie sind natürlich der erste, welchen ich von meinem Eintreffen unterrichte.“
    Sein Blick nahm eine sofortige Schärfe an.
    „Wie kommt es dann, daß ich vom Redaktionsboten erfuhr, daß Sie bei dem Chefredakteur gewesen sind?“
    „Ah, der ist nicht zu rechnen! Ich hatte eigentlich nur in der Expedition zu tun und benutzte die Gelegenheit, meine Karte abzugeben.“
    „Und als ich vorhin über den Markt ging, sah ich Sie beim Intendanten einsteigen.“
    Sie errötete.
    „Er war nicht zu Hause“, versuchte sie, sich zu entschuldigen.
    „Er war daheim, denn er hatte gleich vorher Miß Starton empfangen.“
    „Ah, haben Sie mit ihr

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