62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
seine Frau ins Mittel.
„Mein Liebling!“
„Diese Dame ist kein Modell.“
„Was will sie denn sonst?“
Er hatte den beiden wieder den Rücken zugekehrt und ließ sich nicht stören. Er war dabei, eine Leinwand zu grundieren, und strich die Farbe auf, ohne seinen Besuch wieder anzublicken. Dabei nahm er eine theatralische Stellung ein, eine Pose gleich einem Schauspieler, welcher sich im Zweikampf in den Ausfall legt.
„Kämpfen“, antwortete seine Frau.
„Kämpfen? Alle Teufel! Mit wem denn?“
„Mit der andern.“
„Wo denn?“
„Na, im Ballett.“
„Ach so. Wie heißt sie denn?“
„Es ist eine Mademoiselle –“
„Leda“, ergänzte die Tänzerin.
„Leda“, rief er, nun schnell herumfahrend und sie noch einmal genau betrachtend. „Oh, Mademoiselle, Verzeihung! Sie sind doch nicht ganz so fett, wie ich vorhin dachte.“
„Das meine ich auch“, lachte sie. „Ich brauche nun wohl auch nicht pro Stunde dreißig Kreuzer zu verdienen?“
„Nein, nein! Das ist jetzt anders. Das werden Sie nun ganz umsonst tun.“
„Umsonst?“ fragte sie verwundert.
„Gewiß!“
„Arthur?“ fragte seine Frau.
„Mein Liebling?“
„Kann ich wieder gehen?“
„Ja. Kehre in dein trautes Heim zurück. Später bringst du mir eine Käsebemme mit Nordhäuser.“
Sie ging, und er fuhr, zu Leda gewendet, fort:
„Ich heiße Sie im Tempel meiner zweiten Kunst herzlich willkommen, Mademoiselle. Das Übungszimmer für meine Ballettschüler liegt eine Treppe höher!“
„Unter dem Dach?“
„Ja. Die Kunst kann ihre Heimat nicht hoch genug aufschlagen. Je näher sie dem Himmel rückt, desto verklärender, beseligender und veredelnder wirkt sie auf ihre Jünger.“
„Auch bei diesem Frost?“
„Pah! Was wollen Sie! Die Kunst ist eine firmamentale Potenz, welcher eine unvergleichliche Hitze entströmt. Bitte, Sie haben mir da meinen Bleiweißtopf umgeworfen. Sind gerade elf Kreuzer futsch!“
„Ich werde sie Ihnen ersetzen. Hier sind zwanzig.“
„Ich kann nicht wiedergeben.“
„Tut nichts. Behalten Sie!“
„Danke! Gibt einen gerauchtem Hering zum Abendbrot, natürlich für meine Frau. Sie ist eine, sozusagen, ätherische Natur und kann Käsebemmen nicht vertragen. Was nun Sie betrifft, so habe ich mich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, wir werden einander gefällig sein. Nicht?“
„Gern.“
„Da ist zum Beispiel, was ich vorhin erwähnte, das Modellsitzen. Das kostet Geld. Es gibt Modelle, denen ich fünfzig Kreuzer pro Stunde bezahle. Und in Ausnahmefällen – sehen Sie, ich will eine Psyche malen; sie ist bestellt. Aber woher das passende Modell nehmen? Es gibt hier ein junges Mädchen, welches göttlich paßt, ein ganz himmlisches Wesen; aber das dumme Ding will nicht, obgleich ich zunächst pro Stunde einen Gulden geben würde. Sie beißt aber sicher noch an.“
„Lassen sich Ihre Gemälde gut verwerten?“
„Ich arbeite nur auf Bestellung. Da wurde kürzlich eine Medea bestellt. Ich würde hundertundfünfzig Gulden erhalten, aber woher eine Medea – Donnerwetter!“
Er legte Pinsel und Palette fort und ließ sein Auge prüfend über Ledas Gestalt gleiten.
„Nun, was wollten Sie sagen?“
„Hm! Sie kennen leider die Verhältnisse nicht.“
„So erklären Sie mir dieselben.“
„Die Sache ist nämlich die, daß ich ein höchst gefälliger Mann bin, und so sind meine Damen vom Corps de Ballet mir wieder gefällig. Kann mir eine als Modell behilflich sein, so tut sie es gern und ohne Bezahlung, denn, wissen Sie, eine Hand wäscht die andere.“
„Das läßt sich leicht begreifen.“
„Auch die letzte Diva, Ihre Vorgängerin, hat mir einige Male gesessen. Sagen Sie einmal, Mademoiselle Leda, sind Sie sehr penibel?“
„Gar nicht.“
„Sie wären eine prächtige Medea!“
„Freut mich!“
Er hatte ‚Ihre Vorgängerin‘ gesagt, geradeso, als ob ihr das Engagement ganz sicher sei. Das schmeichelte ihr. Zudem konnte sie seiner Hilfe und Unterstützung bedürftig werden, und da sie ja überdies keineswegs zurückhaltend mit ihren Schönheiten zu sein pflegte, so hielt sie es für geraten, auf seine Intention einzugehen.
„So? Das freut Sie?“ meinte er, indem er im ganzen Gesicht lachte. „Bitte, würden Sie wohl geneigt sein, mir einige Male als Medea zu sitzen?“
„Gern.“
„Danke, danke! Bin natürlich zu jedem Gegendienst auf der Stelle bereit. Ich hoffe doch nicht, daß Sie sich vor mir genieren?“
„Keineswegs“, lachte sie.
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