62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
he?“
„Weil ihnen auf der Straße leicht jemand begegnen konnte.“
„Und daß sie gerade hier und nirgendwo anders übersteigen würden?“
„Weil die Mauer hier am niedrigsten ist.“
„Das Tor vorn ist noch niedriger.“
„Aber es liegt eben vorn, der Beobachtung mehr ausgesetzt. Darum war es nicht sehr geistreich von dem Amtmann, daß er sich gerade dorthin postierte.“
„Dieser Herr gibt mir überhaupt Spaß. Er will die beiden partout höchst eigenhändig fangen. Mit welcher rührenden Bereitwilligkeit er seine Bettücher hergeborgt hat. Wir wollen hin zu ihm.“
Sie schritten leise an der Mauer hin, bogen um die Ecke und näherten sich dem Tor. Da erhob sich eine dritte Gestalt unter einem Bettuch. Es war der Amtmann.
„O weh!“ sagte er. „Sie verlassen Ihre Posten? Nun sollten sie gerade jetzt kommen und uns sehen. Sie werden mir den ganzen Spaß verderben!“
„Wohl nicht, denn sie sind bereits da.“
„Was? Wirklich? Wo?“
„Da hinten, wo ich vermutete, sind sie übergestiegen.“
„Diese Halunken! Hier hatten sie es bequemer!“
„Solche Leute pflegen mehr auf die Sicherheit, als auf die Bequemlichkeit zu sehen, Herr Amtmann.“
„So habe ich mich also doch verrechnet. Aber sie entgehen mir trotzdem nicht. Schleichen wir hin.“
„Warum denn?“
„Um sie zu beobachten.“
„Das wollen wir ja unterlassen!“
„Unterlassen? Das wäre ein großer Fehler. Wir müssen doch erfahren, welches Grab sie öffnen?“
„Sie finden es später ganz leicht. Sie brauchen nur den Fußstapfen nachzugehen. Überdies wird es ihnen nicht gelingen, das Grab geradeso wieder mit Schnee zu bedecken, wie es vorher gewesen ist. Wenn wir uns ihnen nähern, so können sie uns bemerken, und dann wäre alles umsonst.“
„Hm, schade wäre es, jammerschade! Gehen wir also!“
Die drei Späher hatten sich bloß überzeugen wollen, ob die Schmiede die Leiche wirklich hier holen würden. Sie kehrten nach Helfenstein zurück, ohne sich dort sehen zu lassen, und begaben sich sofort nach dem Gottesacker, dessen Schlüssel ja der Amtmann bei sich hatte.
Dort angekommen, fanden sie eine Polizeimacht ihrer wartend, welche ausgelangt hätte, ein gutes Dutzend von Räubern und Mördern festzunehmen. Zum Glück fügte sich der Amtmann in Arndts Anordnungen. Infolgedessen wurden die Leute so postiert, daß sie von den Schmieden nicht bemerkt werden konnten. Dann wartete man.
Es dauerte lange, sehr lange, ehe die beiden kamen. Endlich hörte man drüben von der Stelle, an welcher Arndt heute gelegen hatte, ein Geräusch, und gleich darauf huschten zwei dunkle Gestalten über die schneeweiße Fläche. An dem Grab angekommen, legte der eine ein Paket nieder und sagte leise:
„Du, hier wird es uns leichtgemacht. Die Erde ist ganz locker, und der Spaten nebst Hacke und Schaufel liegen dabei.“
„So laß uns rasch machen. Ich habe keine Ruhe, bis wir hier wieder fort sind. Mir ist fast angst geworden.“
„Warum denn? Es geht ja alles gut!“
Sie begannen zu arbeiten, und zwar mit solchem Eifer, daß sie auf weiter nichts, als auf das Loch achteten, welches schnell immer tiefer wurde. Das Geräusch, welches sie verursachten, war schuld, daß sie ein anderes, welches sich ihnen näherte, nicht hörten.
„Da, hier ist der Sarg!“ sagte der Sohn. „Mir scheint, der Deckel ist morsch.“
„Geben wir uns keine unnötige Mühe. Auf damit und das Kind hinein.“
„Du, ah, da kommt mir ein prachtvoller Gedanke!“
„Versäume nur keine Zeit dabei!“
„Ich glaube nämlich, die haben heute gar nicht den ganzen Sarg herausgenommen!“
„Warum sollten sie? Sie haben den Deckel geöffnet und konstatiert, daß der Sarg leer war.“
„Schön! Wenn dann ein Gerippe im Sarg liegt, ist es erwiesen, daß es später hineingebracht wurde. Wie aber nun, wenn es unter dem Sarg sich befindet?“
„Donnerwetter!“
„Verstehst du? Dann kommt die Schuld auf den früheren Totengräber, der mit der kleinen Leiche nicht gehörig umgegangen ist. Er hat sie verschüttet.“
„Gar nicht übel! Also heraus mit dem Sarg! Wir legen das Gerippchen darunter.“
Da erscholl es laut hinter ihnen:
„Jetzt aber noch nicht!“
Sie fuhren herum und standen, wie vom Schlag getroffen, ein Weilchen völlig bewegungslos da. Der Schreck hatte sie förmlich gelähmt. Vor und um sie standen Polizisten, und im Nu waren sie mit Stricken gebunden.
„Alle Teufel!“ stieß der Alte hervor.
„Verflucht!“ fügte der Junge
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