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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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KAPITEL
    Schlagende Wetter
    Einige Zeit vorher war ein Schlitten von der Stadt her durch das Dorf und nach dem Schloß gefahren. Der Insasse ließ sich bei dem Baron melden und wurde sofort vorgelassen. Es war Herr August Seidelmann, der Vorsteher der Brüder und Schwestern zur Seligkeit. Er mochte wichtige Nachrichten bringen, da der Baron ihn in sein innerstes Kabinett hatte kommen lassen.
    Dennoch hörte man nach einiger Zeit die Stimmen der beiden ungewöhnlich laut, und wer da hätte horchen können, dem wäre die eigentümliche Weise aufgefallen, in welcher der Fromme heute mit dem Baron zu sprechen beliebte.
    Der letztere schien sich in ungewöhnlicher Aufregung zu befinden, denn er schritt hastig in dem Zimmer auf und ab und sagte:
    „Was geht Sie denn der Apotheker an?“
    Der Fromme antwortete in salbungsvollem Ton:
    „Er kennt alle Kräuter und Pflanzen der heiligen Schrift, von der Zeder an bis zum Isop herab, und ich wollte mich belehren lassen.“
    „Lassen Sie diese Faseleien! Ich habe Ihnen in letzter Zeit verboten, mit ihm zu verkehren.“
    „Ich traf ihn zufällig.“
    „Wo?“
    „In seiner Wohnung.“
    „Sie gehen dorthin? Und das nennen Sie zufällig?“
    „Ja. Der Grund, welcher mich hinführte, war ein ganz und gar zufälliger.“
    „Ich darf ihn doch wohl erfahren, wie ich hoffe?“
    „Warum nicht, gnädiger Herr!“
    „Nun?“
    „Ich brauchte ein kleines Tränkchen.“
    „Wozu?“
    Der Fromme zuckte die Achseln, blickte den Baron in sehr bezeichnender Weise von der Seite an und antwortete:
    „Es waren mir zwei im Wege.“
    „Ich wiederhole, Sie sollen nicht faseln!“
    „Wer sagt, daß ich es tue?“
    „Was sonst?“
    „Es waren mir wirklich zwei im Wege: Ein Riese und sodann meine Frau.“
    Jetzt merkte der Baron, was der Mann wollte.
    „Seidelmann!“ fuhr er auf.
    „Euer Gnaden!“ antwortete dieser in demütigem Ton.
    „Sind Sie verrückt geworden?“
    „Nein, denn ich habe mich gehütet, von den Tropfen selbst zu nehmen. Ich will bei Sinnen bleiben.“
    „Aber Mensch, ich begreife Sie nicht! Was haben Sie mit meinen Geheimnissen zu schaffen?“
    „Sehr viel, denke ich.“
    „Und was haben Sie für ein Recht, für eine Veranlassung dazu? Das muß ich Sie fragen!“
    „Das Recht des Menschen und Christen.“
    „Salbadern Sie nur nicht vor mir! Sie machen sich doch nur lächerlich; das können Sie glauben.“
    „Ich will diese Lächerlichkeit tragen, wenn ich dabei nur meine und Ihre Seele rette. Der Christ entschuldigt vieles, aber Mord, langsamer Mord durch geisttötendes Gift, das ist schrecklich; das kann ich nicht zugeben!“
    „Aber wer spricht denn von Mord?“
    „Sie selbst.“
    „Das ist ja Blödsinn!“
    „Blödsinn? Ich war in Rollenburg.“
    Der Baron fuhr zurück. Zwischen seinen halbgeschlossenen Lippen kam es beinahe pfeifend hervor:
    „In Rollenburg bei den Irren?“
    „Ja.“
    „Was haben Sie dort zu tun?“
    „Ich kenne den Direktor.“
    „Und dabei haben Sie – nicht?“
    „Die gnädige Frau Baronin gesehen? Ja. Ich bin überzeugt, daß sie baldigst soweit hergestellt sein wird, daß sie dieses Haus verlassen kann!“
    „Sagte der Arzt dies?“
    „Nein, nur ich sage es!“
    Dies war in einem Ton gesprochen, dem man die Drohung deutlich anhören konnte. Der Baron hatte in diesem Augenblick den Anblick eines Raubtieres, welches in ohnmächtiger Wut hinter dem Gitter die Zähne zeigt; aber es war eigentümlich, wie nach und nach seine Züge einen ganz anderen Ausdruck annahmen. Endlich lachte er sogar herzlich auf und sagte:
    „Sie sind doch wirklich ein Hans Dampf in allen Gassen! Sie tauchen überall auf: da wo Sie gebraucht werden und auch da, wohin Sie nicht gehören!“
    Der Fromme zog ein süßsaures Gesicht und antwortete, indem er leicht mit der Achsel zuckte:
    „Meine Pflicht, gnädiger Herr!“
    „Hm! Ich will das einmal zugeben. Wir sind einander gegenseitig verbunden, doch muß dabei immer die gebotene und schuldige Rücksicht herrschen. Sie können doch unmöglich von mir verlangen, Sie in alle meine Angelegenheiten und Geheimnisse einzuweihen!“
    „So etwas habe ich noch nie gewagt! Aber meine innige Verehrung für die kranke, gnädige Frau – und der qualvolle Anblick, den sie mir in Rollenburg bot – das Achselzucken der Ärzte – während ich doch von dem Gift gehört hatte –“
    „Wer hat mit Ihnen davon gesprochen? Wirklich der Apotheker?“
    „Ja.“
    „Aus freien Stücken?“
    „Nein. Ich kam

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