62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
erhobenen Hände und drang ihm in den Kopf. Er sank zur Erde nieder. Der Baron kniete zu ihm hin und untersuchte ihn. Dann flüsterte er befriedigt:
„Tot! Er fort; der Fürst fort; sein Sohn fort! Nun kommt an seinen Bruder die Reihe, an diesen scheinheiligen, gleisnerischen Verräter! Die beiden Schmiede stehen mir noch gut! Sie werden mich nicht verraten, denn sie sind überzeugt, daß ich sie rette. Übrigens werden sie bei der Explosion geflohen sein. Meines Bleibens ist hier nicht. Man darf mich nicht sehen, und den letzten Zeugen meiner Anwesenheit, den Wächter Laube, nehme ich mit. Hier, Waldkönig, hast du deine Pistole, damit man denken möge, du seist Selbstmörder!“
Er warf die Waffe neben den Gefallenen hin und eilte im Flug davon, sich in acht nehmend, daß er nicht bemerkt werde.
Als er das Gehölz erreichte, stand der Wächter noch bei den Pferden, allerdings in höchster Aufregung.
„Endlich, endlich!“ sagte er. „Ich muß fort!“
„Wohin?“
„Nachdem Schacht.“
„Weshalb denn?“
„Meine Frau! Meine Kinder! Dieses Unglück!“
„Sei ruhig! Den deinen ist nichts geschehen!“
„Wirklich nicht?“
„Nein. Ich habe jetzt mit ihnen gesprochen; ich komme vom Schacht. Aber dir selbst droht Unheil. Wir sind heute erwischt worden. Vierzig Mann sind gefangen. Auch du bist verraten. Man sucht dich bereits.“
„Herrgott! Was tue ich?“
„Du fährst mit mir! Man wird denken, du seist bei der Explosion mit umgekommen und wird dich infolgedessen nicht verfolgen. Deine Frau und deine Kinder holst du nach. Ich sorge für dich! Vorwärts!“
Der vor Schreck förmlich konsternierte Mann fand keinen Widerspruch; er band die Pferde los, hing die Stränge an, und dann flog der Schlitten lautlos dahin, als stamme er aus der Schattenwelt. –
Arndt hatte mit dem Offizier und dem Förster ganz dasselbe Ziel wie vorher der Baron mit Seidelmann. Es war daher auch gar kein Wunder, daß die drei ersteren die Bahn der beiden letzteren verfolgten. Arndt war den anderen um einige Schritte voran. Durch die Bäume brechend, fuhr er zurück.
„Was ist das?“ sagte er. „Da liegt einer!“
„Wo?“ fragte der Förster, indem er rasch folgen wollte.
„Halt! Zurückbleiben!“
„Warum?“
„Es liegt eine Pistole bei ihm. Ein Mord oder Selbstmord. Er blutet. Wir dürfen die Spur nicht verwischen, denn ich sehe, daß hier zwei Männer gestanden haben.“
Er trat neben den Spuren zu dem Gefallenen hin, faßte ihn an, hob ihn auf und trug ihn auf die Seite.
„So! Jetzt könnt ihr her! Ihr werdet euch wundern!“
Die beiden anderen traten hinzu und beugten sich nieder.
„Alle guten Geister!“ rief der Förster. „Seidelmann!“
„Ja. Er ist erschossen worden.“
„Wie? Kein Selbstmord?“
„Nein. Seht her! Die Kugel ist ihm durch beide Hände in das Gehirn gedrungen. Er ist tot.“
„Gott sei seiner armen Seele gnädig! Wer mag der Mörder sein?“
„Vielleicht entdecken wir es. Hier ist etwas Weißes.“
Er zog das Tuch hervor.
„Ah! Oh!“ rief der Förster. „Ein Bettuch! Sehen Sie einmal nach der Ecke!“
„Hier! Ein T. und M. Es stimmt. Ah, Teufel! Ich ahne, wer der Mörder ist!“
„Wer?“
„Jetzt nicht davon! Vetter Wunderlich, bleiben Sie einige Augenblicke hier bei der Leiche. Wir beide gehen nach dem Schacht, wo die Gendarmen sind. Ich schicke Ihnen zwei her, welche die Leiche bis auf weiteres bewachen werden. Aber verbieten Sie ihnen, den Platz zu betreten oder die Spur zu zerstören! Kommen Sie, Herr Leutnant! Der Mörder ist hiernach dem Dorf gegangen, und zwar sehr eilig. Gehen wir neben der Fährte her, um zu sehen, wohin sie führt!“
Die Tapfen im Schnee waren deutlich zu erkennen, so daß es leicht wurde, sich von ihnen an das Gehölz führen zu lassen. Dort untersuchte Arndt alles genau.
„Jetzt weiß ich es!“ sagte er. „Drei sind mit dem Schlitten gekommen. Zwei gingen fort, und einer stieg über Seidelmanns Zaun. Dieser eine ist der Mörder. Er kam mit Seidelmann zurück und ging mit ihm in den Wald, aus welchem er allein wiederkehrte. Ein anderer kam von Seidelmanns, um bei den Pferden zu bleiben, und ist dann mit ihm fortgefahren. Gehen wir ein wenig weiter, um zu sehen, welche Richtung der Schlitten eingeschlagen hat.“
Als sie dem Geleise entlang bis vor das Städtchen kamen, nickte er mit dem Kopf und sagte:
„Meine Vermutung wird wohl richtig sein. Ich werde diese Fährte nicht aus den Augen lassen. Gehen wir jetzt nach dem
Weitere Kostenlose Bücher