62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
sei.
„Wo ist er hin?“ fragte Arndt.
„Ich weiß es nicht.“
„Sie lügen. Ich sehe es Ihnen an. Ihr Mann ist verdächtig, ein Helfershelfer des Waldkönigs zu sein. Es steht zu vermuten, daß auch Sie davon wissen, also die Mitschuldige sind. Ich sehe mich gezwungen, Sie arretieren zu lassen.“
Die Frau erschrak. Sie zitterte am ganzen Leib und sagte:
„Mich arretieren? Ich bin ganz unschuldig. Ich kann gar nichts dafür, ich habe ihn viele, sehr viele Male gewarnt.“
„Ah, gewarnt haben Sie ihn?“
„Ja.“
„Wovor denn?“
Sie wurde verlegen; sie sah ein, daß sie sich gefangen hatte, und antwortete stockend:
„Vor – vor dem Klingelzug.“
„Vor welchem Klingelzug?“
„In unserer Stube.“
„Schön! Zeigen Sie uns denselben doch einmal!“
Sie führte die Männer in ihre Wohnung. Hinter einem Schrank war eine Klingel zu bemerken und daneben ein Klingelzug, welche aber beide nicht in Verbindung miteinander standen.
„Wohin führt der Klingelzug?“ fragte Arndt. „Und woher kommt der Draht, der diese Klingel bewegt?“
„Ich weiß es nicht.“
„Wirklich nicht? Nun, so müssen wir Sie so lange einsperren, bis Sie die Güte haben, es zu gestehen.“
Sie erbleichte. Man sah ihr an, daß ihr angst und bange wurde.
„Ich bin ja nicht schuld“, antwortete sie.
„Das wird sich finden!“
„Ich habe gehört, daß eine Frau ihren Mann nicht anzuzeigen braucht, meine Herren!“
„Das ist doch nicht ganz so, wie Sie zu denken scheinen. Zwischen einer Frau, die ihren Mann nicht anzeigt, und einer, welche die Mitschuldige ihres Mannes wird, ist sehr schwer eine Grenze zu ziehen. Ich rate Ihnen, aufrichtig zu sein. Haben Sie Kinder?“
„Ach ja, viere!“
„Nun, wollen Sie etwa, daß Sie von diesen Kindern weggerissen werden? Reden Sie die Wahrheit! Ich will ja gar nicht streng sein; ich will annehmen, daß Sie keine direkte Schuld tragen; aber wohin dieser Klingelzug geht, das wissen Sie?“
„Ja“, gestand sie.
„Nun, wohin?“
„In das Schreibzimmer des Herrn Seidelmann. Die Klingel befindet sich dort an der hinteren Wand in einem Schrank.“
„Ihr Mann und Seidelmann gaben sich Signale?“
„Ja.“
„Zu welchem Zweck?“
„Wenn Seidelmann meinen Mann brauchte, klingelte er, und mein Mann klingelte auch zuweilen, wenn fremde Männer kamen.“
„Wer waren diese?“
„Ich kannte sie nicht. Sie kamen auch selten in die Stube.“
„Was wollten sie?“
„Das weiß ich nicht.“
„Aber Sie ahnten es?“
„Ich dachte mir, daß sie vielleicht – Pascher seien. Aber ich durfte zu meinem Mann kein Wort davon sagen.“
„Ich sehe Ihnen an, daß Sie damit die Wahrheit sprechen. Ich will Sie nicht unglücklich machen; darum lasse ich Sie nicht arretieren. Aber bleiben Sie stets zu Hause. Vielleicht habe ich noch mit Ihnen zu sprechen. Ein Fluchtversuch würde Ihnen nur schaden!“
Die Frau fühlte sich außerordentlich erleichtert, als die Männer gingen. Diese letzteren sahen erst einmal nach dem Treiben am Schacht, und dann begab sich Arndt mit dem Staatsanwalt und einigen Gendarmen nach dem Städtchen. Der Obergendarm blieb zurück.
Eben, als sie das Kohlenwerk verließen, trafen sie auf den alten Förster, welcher abgelöst worden war. Als er hörte, daß sie nach Seidelmanns Wohnung gehen wollten, schloß er sich ihnen an.
„Vielleicht ist da das Bettuch zu gebrauchen, welches wir bei dem toten Seidelmann fanden“, sagte er. „Ich habe es mitgebracht.“
Da das ganze Städtchen sich in Aufregung befand, so war es kein Wunder, daß auch Seidelmanns Fenster Licht zeigten. Die Frau war zu Hause. Sie erschrak sichtlich, als sie zwei Herren in Begleitung von Gendarmen eintreten sah.
„Kennen Sie mich?“ fragte der Staatsanwalt.
„Ja“, antwortete sie in wahrnehmbarer Bangigkeit.
„Wo ist Ihr Mann?“
„Ausgegangen.“
„Und Ihr Sohn?“
„Auch er ging einmal fort.“
„Wohin?“
„Das weiß ich nicht.“
„Das ist doch kaum zu glauben. Eine Frau pflegt doch stets zu wissen, wohin Mann und Sohn gegangen sind.“
„Ich weiß es wirklich nicht.“
„Gingen die beiden öfters des Nachts vom Haus fort?“
„Ich habe es nicht bemerkt.“
„Gut! Sie brauchen ja nichts zu gestehen. Wir werden dennoch erfahren, was wir wissen wollen. Führen Sie uns doch einmal in die Schreibstube Ihres Mannes.“
Die Frau nahm den Schlüssel von der Wand und schritt voran. Dort angekommen, erblickte man einen Schreibtisch, einen Warentisch
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