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62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen

Titel: 62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht eher, meine Herren“, entschuldigte sich der letztere. „Es gab der Hilfsbedürftigen auf dem Schacht genug.“
    „Hat man denn nicht auch nach anderen Ärzten geschickt?“ fragte ihn Arndt.
    „Allerdings. Es sind zwei Kollegen angekommen. Nur dadurch wurde es mir möglich, Ihrem Ruf zu folgen. Ich wollte es nicht glauben. Ist es wirklich Seidelmann junior?“
    „Sehen Sie selbst!“
    Der Arzt zog sein Besteck hervor und kniete an der Seite des Verunglückten nieder.
    „Wahrhaftig, er ist es!“ sagte er. „Wie aber kommt er denn unter die Erde hinab?“
    „Das wird sehr bald ruchbar werden. Bitte, untersuchen Sie ihn. Ich glaube nicht, daß er zu retten ist.“
    Die Untersuchung begann, und das Resultat lautete:
    „Beide Beine sind zerschmettert und der Brustkasten so eingedrückt, daß an eine Rettung gar nicht zu denken ist.“
    „Wie lange kann er vermutlicherweise nach seinem Erwachen noch leben?“
    „Nur wenige Minuten, vielleicht aber auch nur einen Augenblick. Ich möchte Ihnen raten, nicht hierzubleiben.“
    „Warum?“
    „Es wird entsetzlich sein. Er wird brüllen, wie Sie wohl noch keine menschliche Stimme gehört haben. Dazu gehören sehr starke Nerven.“
    „Wir haben ihn bereits gehört“, antwortete Arndt. „Übrigens halte ich es doch auch für möglich, daß er ruhig bleibt.“
    Der Doktor warf ihm einen mißmutigen Blick zu und fragte:
    „Sind Sie Arzt?“
    „Nein. Aber ich habe viele Menschen unter den verschiedensten Umständen sterben sehen.“
    „Nun, ich will Ihnen nicht widersprechen. Es wird sich zeigen, wer recht hat. Ich habe auf dem Schacht sehr viel zu tun; hier bin ich überflüssig; die Herren werden mir hoffentlich erlauben, mich zu entfernen?“
    „Wenn wirklich hier jede Hilfe unmöglich ist?“
    „Vollständig unmöglich!“
    Er ging, und die Anwesenden erwarteten nun unter den eigentümlichsten Gefühlen das Erwachen des Besinnungslosen.
    „Wollen wir nicht seine Mutter rufen?“ fragte der Anwalt.
    „Nein!“ antwortete Arndt in bestimmtem Ton.
    „Aber es wäre doch Menschenpflicht!“
    „Schwerlich! Wollen Sie der Mutter die Qual bereiten, ihn in dieser Weise sterben zu sehen?“
    „Hm! Vielleicht haben Sie recht!“
    „Nicht nur vielleicht. Übrigens haben wir Anspruch auf die letzten lichten Augenblicke dieses Verbrechers.“
    „Wegen eines Geständnisses?“
    „Ja. Sein Vater ist tot. Er kann nicht mehr reden. So müssen wir also versuchen, hier etwas Entlastendes zu hören.“
    „Oh, er wird sich wohl schwerlich entlasten können!“
    „Sich nicht, aber andere!“
    „Ah, Sie meinen Eduard Hauser?“
    „Ja, obgleich dessen Unschuld bereits erwiesen ist; ich meine aber auch Angelika Hofmann und Auguste Beyer. Für diese beiden ist es vorteilhaft, wenn – Herrgott!“
    Er war von einem Schrei unterbrochen worden, von einem so entsetzlichen Schrei, daß alle von ihren Sitzen emporgerissen wurden. Sie hatten während der letzten Worte Seidelmann nicht beobachtet. Jetzt lag er da, ruhig und bewegungslos, mit offenen Augen – er vermochte kein Glied zu rühren; aber in seinem Blick lag der Ausdruck einer wahrhaft höllischen Qual, und seine Zähne knirschten zusammen, daß es klang, als würde auf einer Drehbank ein Stück Stahl zerschnitten. Er hatte nur diesen einen Schrei ausstoßen können, weiter reichten seine Kräfte nicht aus.
    „Er ist wach!“ sagte der Anwalt. „Fürchterlich! Wird er uns erkennen?“
    „Ja“, antwortete Arndt.
    „Ich bezweifle es!“
    „Ich nicht. Die Schmerzen wollen ihm allerdings den Verstand nehmen, dennoch aber ist er bei Gedanken. Ich werde es Ihnen beweisen.“
    Er kniete neben dem Elenden nieder und fragte ihn:
    „Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“
    Der Gefragte bewegte die blutigen Lippen. Er wollte antworten, brachte aber kein Wort hervor.
    „Antworten Sie mit dem Kopf, indem Sie schütteln oder nicken! Hören Sie, was ich spreche?“
    Ein leises Nicken war die Antwort.
    „Können Sie sich auf alles besinnen, was geschehen ist?“
    Abermals ein Nicken.
    „Ihr Vater ist von dem Hauptmann erschossen worden, und auch Sie haben nur noch wenige Augenblicke zu leben. Gehen Sie nicht als ein reueloser Sünder dem ewigen Richter entgegen! Wir wissen alles, auch daß Sie der Waldkönig gewesen sind. Beantworten Sie mir nur noch drei Fragen! Hat Auguste Beyer den Ring gestohlen?“
    Er schüttelte mit dem Kopf.
    „Haben Sie Eduard Hauser die Spitzen in seinen Rock genäht, um ihn in Verdacht zu

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