62 - Der verlorene Sohn 03 - Die Verlorenen
gestatten. Das ist ganz ungewöhnlich!“
„Vielleicht ist etwas geschehen, was unsere Angelegenheit zum besten lenkt, lieber Eduard.“
„Gott gebe es! Du bist nur meinetwegen gefangen. Wie mir das in der Seele weh tut!“
„Ich konnte nicht anders, denn ich habe dich ja lieb!“
„Wirklich? So ist alles vergessen? Der Seidelmann, die Maskerade und – auch die Italienerin?“
Sie errötete.
„Vergib mir!“ sagte sie. „Ich werde niemals wieder so töricht sein. Ich habe dich recht sehr gekränkt.“
Da wurde die Tür geöffnet, und die Wachtmeisterin trat ein, mit einem Topf und Tellern in der Hand.
„Darf ich stören? Ist die Begrüßung vorüber?“ fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.
„Ja; wir sind fertig“, antwortete Eduard, einigermaßen verlegen.
„Nun, so kann ich die Suppe auftragen.“
Sie setzte die Teller auf den Tisch und goß die Suppe ein.
„Sie werden sich wundern, daß es drei Teller gibt. Sie sind doch nur zwei“, fuhr sie fort. „Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit geben, sich ungestört einige Worte zu sagen; jetzt will ich die dritte Person holen.“
Sie entfernte sich. Eduard nickte froh vor sich hin und sagte:
„So freundlich! Das hat gewiß nur Gutes zu bedeuten! Ich konnte gar nicht schlafen; ich mußte immer an dich denken. Du gefangen! Mein Engelchen in der Zelle!“
„Oh, das war nicht so schlimm. Ich hatte Gesellschaft. Ich war mit Beyers Gustel zusammen.“
„Mit der? Das arme Mädchen! Wie erträgt sie ihr Geschick?“
„Sehr schwer! Es war mir fast unmöglich, sie zu trösten.“
„Sie ist unschuldig. Gott wird auch ihr beistehen!“
Da kehrte die Wachtmeisterin zurück und brachte – die, von der die beiden soeben gesprochen hatten. Auguste Beyer war halb verwundert und halb beschämt, hier mit Hauser zusammenzutreffen. Er gab ihr die Hand und sagte:
„Grüß dich Gott, Gustel! Du brauchst nicht zu erröten. Alle Welt weiß, daß du unschuldig bist.“
Sie antwortete mit keinem Wort. Sie dankte nur mit einem leisen Nicken ihres Kopfes. Ihr Gesicht behielt den düsteren, mutlosen Ausdruck bei.
„Jetzt setzen Sie sich und essen Sie!“ sagte die Wachtmeisterin. „Gefängnissuppe ist keine Delikatesse, und kalt schmeckt sie vollends gar nicht.“
„Denken Sie wirklich, daß wir essen können?“ fragte Eduard.
„Warum denn nicht?“
„Aus mehreren Gründen, meist aber aus Wißbegierde dafür, was es zu bedeuten hat, daß wir zusammengebracht worden sind.“
„Ich kenne den Grund auch nicht. Der Herr Staatsanwalt hat es befohlen. In einer halben Stunde soll ich Sie in seine Expedition bringen lassen!“
„Alle drei?“
„Ja. Sorgen Sie sich aber nicht. Solche Befehle werden nur gegeben, wenn es sich um etwas Gutes handelt.“
Die Frau blieb bei ihnen, darum konnten sie sich nicht so unterhalten, wie es geschehen wäre, wenn man sie allein gelassen hätte. Nach einer halben Stunde trat der Schließer ein, um sie zu dem Staatsanwalt zu führen.
Ihre Herzen klopften. Hatte Eduard Gutes erwartet, so wurde diese Vermutung zur Gewißheit, als er neben dem Staatsanwalt – Arndt stehen sah, welcher ihnen freundlich entgegenlächelte und ihnen zum Gruß die Hand reichte.
„Ah, Sie kennen einander!“ sagte der Beamte. „Nun, diesem Herrn haben Sie es zu verdanken, daß ich jetzt die Freude habe, Ihnen eine gute Nachricht zu geben. Ihre Unschuld ist erwiesen.“
Ein dreifaches „Ah!“ entfuhr ihren Lippen. Und Eduard stieß ganz unwillkürlich hervor:
„So schnell!“
„Ja, schnell genug ist es gegangen, Herr Hauser. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß Fritz Seidelmann sich in Ihre Stube geschlichen und die Spitzen in Ihren Rock genäht hat.“
„Dieser Schurke!“
„Er hat seine Strafe gefunden. Er ist tot.“
„Tot? Mein Gott!“
„Ja, tot. Er und sein Vater spielten den Waldkönig. Der Vater wurde gestern abend erschossen, und den Sohn verschüttete im Stollen das zusammenbrechende Gestein. Dieser letztere gestand vor seinem Ende, daß Sie den Ring nicht gestohlen haben, Fräulein Beyer, und er sagte auch, daß er Sie nicht bestraft wissen will, Fräulein Hofmann. Sie sind also entlassen, alle drei!“
Die Freude des Liebespaares läßt sich nicht beschreiben. Auguste Beyer aber stand bleich und stumm dabei, ohne ihren Gefühlen Worte zu geben. Das frappierte den Staatsanwalt.
„Nun, freuen Sie sich nicht?“ fragte er.
Sie schüttelte traurig den Kopf.
„Ihre Unschuld ist erwiesen; das ist doch
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