63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
doch lieber abraten!“
„Warum?“
„Er hat den guten Willen gehabt, zu gehorchen. Er hat seine Tochter geschickt. Daß sie sich so obstinat zeigt, dafür wird er wohl kaum verantwortlich zu machen sein.“
„Meinen Sie? Oho! Er hat mir zu gehorchen und seine Tochter ihm. Hat er sie so schlecht erzogen, daß sie es wagen darf, zu widerstreben, so trifft eben ihn die Verantwortung.“
„Und doch gestatte ich mir die Meinung, daß es vorsichtiger sein würde, ihn nicht zu entlassen.“
„Vorsichtiger? Das klingt ja grad, als ob wir etwas zu befürchten hätten!“
„Das ist es allerdings, was ich sagen will.“
„So sprechen Sie deutlicher!“
„Wie nun, wenn er sich nicht entlassen läßt?“
„Wie will er das anfangen?“
„Er kann den Rechtsweg betreten, und da ist es sehr leicht möglich, daß sich das Gericht für ihn entscheidet. Es fragt sich ja, ob wir so weit gehen können, ihn für die Weigerung seiner Tochter verantwortlich zu machen.“
„Selbst wenn Sie recht hätten, kann man mich nicht zwingen, ihn in seiner Stellung zu belassen. Ich hätte ihm eine Monatsgage auszuzahlen, da er monatliche Kündigung hat. Zwanzig Gulden mehr oder weniger, was mache ich mir daraus!“
„Das weiß ich. Aber das Aufsehen!“
„Welches Aufsehen?“
„Wird er schweigen? Die Presse erfährt es. Man wird nicht nur davon sprechen, sondern vielleicht auch schreiben. Man wird sagen, daß wir brave Töchter unserer Untergebenen zwingen, etwas zu tun, was gegen das natürliche Schamgefühlt ist.“
„Das werden wir ruhig abwarten. Sollte man wirklich so etwas schreiben, so werden wir zu antworten wissen. Übrigens möchte ich Sie wohl fragen, welchen Grund Sie haben, sich dieses Werners anzunehmen?“
„Ich spreche nur, weil ich es für meine Pflicht halte. Doch gestehe ich, daß mich der arme Teufel dauert.“
„Dieses Mitleid ist am unrechten Ort!“
„Vielleicht nicht so sehr, wie der Herr Intendant denken. Kennen Sie die Familienverhältnisse Werners?“
„Genau nicht.“
„Nun, er hat mit seinen zwanzig Gulden fast ebenso viele Mäuler zu sättigen. Dazu die schreckliche Krankheit, an welcher seine arme Frau leidet!“
„Schreckliche Krankheit? Ist sie denn krank?“
„Sogar unheilbar.“
„Davon weiß ich nichts!“
„Er spricht nicht davon. Er sucht es zu verheimlichen, und er hat alle Ursache dazu.“
„Was fehlt ihr denn?“
„Sie leidet am Krebs.“
„Am Krebs? Alle Teufel! Seit wann?“
„Seit einigen Jahren bereits.“
„Wo hat sie diese Krankheit?“
„Im Gesicht. Es ist überhaupt von einem Gesichte bei ihr nicht mehr die Rede. Alle Fleischteile sind weggefressen.“
„Und das erfahre ich erst jetzt! Warum ist mir das nicht schon längst gemeldet worden?“
„Weil niemand etwas Genaueres weiß. Ich selbst habe es erst gestern erfahren und auch nur durch reinen Zufall.“
„Aber der Theaterarzt muß es wissen. Ich werde ihm einen Verweis geben, den er nicht einrahmen lassen wird. Eine so gefährliche, ansteckende Krankheit hätte er mir zu melden gehabt.“
„Er weiß nichts davon. Werner hat sich wohl eines anderen Arztes bedient.“
„Ach so! Hm! Nun, wir werden ja sehen! Also, suchen Sie sich unter den Statistinnen eine, welche sich wenigstens leidlich für die vakante Rolle eignet. Auf dieses alberne Fräulein Werner werden wir nun verzichten müssen.“
Er entfernte sich mit seinem Bruder. Dieser blieb, ehe sie ins Freie traten, hinter dem Eingang stehen und fragte:
„Wirst du den Theaterdiener wirklich entlassen?“
„Ja, sicher.“
„Trotz den Bemerkungen, welche der Regisseur machte? Sie sind nicht ganz unbegründet!“
„Sie fallen hier gar nicht ins Gewicht. Du willst wohl vergessen, daß Werners Frau den Krebs hat?“
„Was geht das dich an!“
„Mich? Sehr viel! Ich kann nicht dulden, daß wir alle täglich mit einer Person zu tun haben, welche eine höchst ansteckende Atmosphäre atmet. Diese Krankheit ist Grund genug, ihn augenblicklich zu entlassen.“
„Und das tust du wirklich?“
„Ja.“
„Schön, schön! Ausgezeichnet!“
„Ah, das ist nach deinem Sinn?“
„Ganz und gar!“
„Wieso?“
„Du arbeitest mir da vortrefflich in die Hände. Er sieht die Not, das Elend, den Hunger vor der Tür. Wenn ich da als Retter erscheine, werde ich sehr leichtes Spiel haben.“
„Hm! Du willst sie wirklich engagieren?“
„Das versteht sich!“
„Aber sie wird es dir ebenso machen wie mir!“
„Das weiß
Weitere Kostenlose Bücher