63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
nicht gern jemand an unglücklicher Liebe sterben.“
„Danke, danke, danke!“
„Nicht?“ fragte sie, verwundert, ihre kolossalen Reize von ihm verschmäht zu sehen.
„Nein, meine Beste.“
„Warum nicht?“
„Meine Liebe ist nämlich ganz und gar nicht genußsüchtig.“
„Wie denn?“
„Platonisch.“
Da schlug sie eine ziemlich laute, höhnische Lache auf und sagte, zu ihrer Mutter gewendet:
„Hast du jemals so etwas gehört? Ich werde platonisch geliebt! Das ist geradeso, als ob man den Wiedehopf unter die Kolibris zählen wollte! Zwiebel, Sie sind verrückt! Greifen Sie doch zu!“
„Nein, ich danke. Mein Gemüt ist zart besaitet, und meine stille Neigung zu Ihnen macht keine großen Ansprüche. Ich wiederhole, daß ich Sie in aller Bescheidenheit um ein kleines, ganz kleines Andenken bitte!“
„Na, was wollen Sie denn?“
„Etwas, was wohl viele, viele hundert Mal in Ihren warmen, zarten Lilienfingern gewesen ist.“
„Was wäre das?“ erkundigte sie sich neugierig, indem sie das Geld noch immer in ihrer Hand hielt.
„Dieses Portemonnaie.“
Da machte sie eine Bewegung des Schreckes.
„Wo denken Sie hin!“ sagte sie. „Geben Sie es her!“
Sie steckte den Arm danach aus; er aber hielt die Hand mit dem Geldtäschchen hinter sich auf den Rücken.
„Es ist ja gar nichts wert!“
„Für mich sehr viel!“
„Und als Andenken für mich noch mehr!“
„Sie können es nicht erhalten!“
„Sie haben das Geld zurück; das Portemonnaie aber werden sie mir wohl lassen!“
„Nein, nein, auf keinen Fall!“
Sie machte Miene, auf ihn einzudringen. Er sagte:
„Sie tun ja geradeso, als ob das Geldtäschchen einen ungeheuren Wert hätte!“
„Den hat es auch für mich!“
„Warum?“
„Es ist ein Andenken.“
„An Ihren Bruder, den Einbrecher?“
„Nein.“
„Oder an den anderen Bruder, den Totschläger?“
„Was gehen Sie meine Brüder an! Bekümmern Sie sich doch nur um sich selbst! Her mit dem Portemonnaie!“
Jetzt packte sie seinen Arm; er wehrte ab und fuhr fort:
„Oder sollte doch noch etwas darin stecken?“
„Gar nichts! Sie haben sich doch überzeugt!“
„Oh, man versteckt zuweilen Kassenscheine zwischen die Seitenwände! Ich habe Ähnliches schon oft gehört.“
Sie fuhr vor ihm zurück und gebot dann im barschesten Ton:
„Faseln Sie nicht! Also her, augenblicklich!“
„Vielleicht sind die zwei Fünfhundertguldenscheine drin, die Sie erhalten haben, und die Petermann mit unterschlagen haben soll!“
„Herrgott!“ entfuhr es der erschrockenen Alten.
„Ah! Habe ich es erraten? Siehe da!“
„Nichts, gar nichts haben Sie erraten! Verstanden! Geben Sie die Tasche her, oder es ergeht Ihnen schlecht!“
Sie steckte das Geld ein und trat mit geballten Fäusten auf ihn ein. Sie war fast um einen Kopf höher als er, und mit ihrer Schulterbreite konnte er sich gar nicht messen. Mann sollte meinen, sie hätte ihn mit einem einzigen Hieb ihrer Faust erschlagen können.
Er aber zeigte nicht die mindeste Unruhe, sondern er antwortete in aller Gemütlichkeit:
„Meine beste Aurora, regen Sie sich doch nicht wegen einer solchen Lappalie auf!“
„Lappalie? Ein so teures Andenken!“
„Ja, das wird es freilich sein, ein außerordentlich teures Andenken an Sie, mein liebes Kind.“
„Liebes Kind? Bleiben Sie mir vom Leib mit diesen dummen albernen Brocken! Her mit dem Täschchen!“
„Na, wenn Sie es nicht anders tun, so sollen Sie es haben, obgleich ich stolz auf ein solches Souvenir gewesen wäre. Aber es war ausgemacht, daß alles mir gehöre, was sich darin befinde. Ich habe also das Recht, noch einmal ganz genau nachzusehen, ob es wirklich leer ist. Die eine Seitenwand ist viel dicker als die andre. Hand aufs Herz, Aurorchen, Sie haben da etwas hinein geklebt! Nicht?“
„Unsinn, tausendfacher Unsinn! Geben Sie es her, sonst nehme ich es mir! Und aber wie!“
Sie fuhr mit beiden Händen nach dem Portemonnaie; er aber hatte es blitzschnell eingesteckt und entgegnete:
„Ich muß ganz entschieden verlangen, genau nachsehen zu dürfen!“
„Nichts dürfen Sie, gar nichts! Ich fordere mein Eigentum!“
„Und ich das meinige!“
„Es ist leer!“
„Die zwei Fünfhundertguldennoten stecken drinnen!“
„Lüge!“
„Es ist wahr!“
„Wie wollen sie das wissen?“
„Ich weiß es sehr genau. Sie haben nicht gewagt, diese Noten auszugeben. Jetzt wird man die Leda fragen, woher sie diese Art von Geld genommen hat, jedenfalls
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