63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
sagte:
„Entschuldigung, meine Damen! Soeben wollte ich zu Ihnen hinaufkommen.“
„Wir sollen uns eintragen?“ fragte die Riesin.
„Ja.“
„Wir werden es nach unserer Rückkehr tun.“
„Wann kommen sie wieder?“
„Vielleicht in zwei Stunden.“
„Dann tut es mir leid, Sie belästigen zu müssen. In einer Stunde kommt Visitation; da müssen die Fremden, welche bis dahin angekommen sind, bereits im Buch stehen.“
„So kommen Sie herein in das Gastzimmer. Hinauf gehen wir nicht erst.“
Sie setzt sich drinnen an einen Tisch und schrieb ein:
‚Aurora Bormann, Künstlerin aus Rollenburg. Nebst Mutter; vorübergehend hier‘.
Dann ging sie ihrer Mutter nach, welche bereits eine Strecke zurückgelegt hatte.
Die beiden bemerkten nicht, daß ihnen einige Gestalten vorsichtig nachschlichen, dann aber in der Nähe des Kirchhofs stehenblieben. Die Polizisten hatten sich nun überzeugt, daß das Wild in das Garn laufen werde.
Mutter und Tochter blickten sich einige Male um, und als sie keine Seele bemerkten, schlugen sie den Weg nach den Scheunen ein. Sie sprachen kein Wort, bis sie dieselben erreicht hatten. Aber dort fragte die Alte:
„Wir gehen doch gleich ans Werk?“
„Nein.“
„Was denn?“
„Erst müssen wir uns überzeugen, ob wir allein sind. Wir gehen um die Scheunen herum, du hier rechts und ich links. Dann treffen wir grad da, wohin wir wollen, wieder zusammen.“
Sie trennten sich, um zu rekognoszieren. Als sie sich wieder fanden, sagte die Mutter:
„Ich habe niemand gesehen.“
„Ich auch nicht. Wir sind sicher.“
„Es ist aber doch ein eigentümliches Gefühl, zu denken, daß man es mit einer Leiche zu tun hat.“
„Noch dazu mit der Leiche eines Ermordeten! Aber hin ist hin. Leiche bleibt Leiche, ob ermordet oder natürlich gestorben, das ist ganz egal. Überdies handelt es sich hier ja gar nicht um eine Leiche, sondern um einen Stein. Horch!“
Sie dreht sich halb ab und lauschte.
„Was ist?“ fragte ihre Mutter ängstlich.
„Ich glaubte, den Schnee knirschen gehört zu haben.“
„Es wird welcher vom Dach gefallen sein.“
„Möglich. Bei solchen Gängen ist man doch ein wenig schreckhaft, mag man sonst noch so mutig sein.“
„Fangen wir also an, damit es desto rascher wieder ein Ende hat!“
„Warte nur! Noch wissen wir nicht, wohin wir das Kind tragen.“
„Ich weiß einen solchen Abfluß, wie wir vorhin erwähnten.“
„Wo?“
„Gleich hinter dem Bellevue, wo der Wald beginnt.“
„Ja, ich besinne mich. Es ist gar nicht so sehr weit dahin. Der Weg ist einsam. Es wird das der beste Ort sein. Wenn wir das Kind in die Gosse legen und einige Steine dazu, wird kein Mensch es finden.“
„Also heraus damit!“
Die Alte kniete nieder und begann die Erde zu entfernen. Die Riesin half ihr dabei.
„Scheint dir die Erde nicht außerordentlich locker zu sein?“ fragte dabei die erstere.
„Ja. Es ist auch gar nicht anders möglich. Wir haben das Loch ja schon einmal aufgewühlt.“
„Aber ich glaube es viel fester zugestampft zu haben.“
„Das denkst du nur. Sprich übrigens leise. Im Winter ist die Luft kalt und bei Kälte geht der Schall viel weiter als sonst.“
„Wer soll uns hier hören? Etwa die Toten da drüben auf dem Kirchhof?“
„Nein, sondern die Lebenden hier“, erklang es hart hinter ihnen.
Beide stießen einen lauten Schrei des Schreckens aus und fuhren empor. Hätte der Blitz neben sie eingeschlagen, so hätte der Schreck nicht größer sein können. Der Mann, welcher bei ihnen stand, lachte zufrieden vor sich hin und sagte:
„Das war eine Überraschung, nicht wahr? Ich hoffe aber, daß es eine freudige ist!“
„Zwiebel!“ stieß die Riesin hervor.
„Herr Zwiebel!“ bebte die Mutter, welche sich von ihrem Schock nicht so schnell zu erholen vermochte.
„Ja, ich bin beides. Zwiebel und auch Herr Zwiebel, je nachdem man mehr oder weniger höflich gegen mich ist.“
„Ich denke –“, stotterte die Alte.
„Was denken Sie?“
„Daß – daß – daß Sie sich in der Zentralherberge befinden.“
„Da denken Sie falsch, wie bereits öfters am heutigen Abend, Frau Bormann.“
„Was wollen Sie hier?“ fragte jetzt die Riesin.
„Und was wollen Sie?“ antwortete er.
„Das geht Sie nichts an!“
„So haben auch Sie mich nicht zu fragen.“
„Packen Sie sich fort!“
„Sie werden mir schon zu bleiben erlauben, Fräulein. Ich interessiere mich außerordentlich für die Minierarbeit, welche Sie da
Weitere Kostenlose Bücher