64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
mit einem Schlüssel öffnete und dann sorgfältig wieder verschloß.
Salomon Levi sah sich nun in einem langen Gang, welcher an einem vergitterten Fenster endete. Rechts und links gab es Reihen starker Türen, über denen je ein Täfelchen hing, auf welchem ein Name stand. Die Türen waren mit eisernen Doppelriegeln versehen. Hinten am Fenster stand ein Beamter, welcher ein großes Schlüsselbund in der Hand trug.
„Gott der Gnädige!“ stieß der Jude hervor. „Wohin haben Sie mich geführt, Herr Staatsanwalt?“
„Bemerken Sie das nicht?“
„Es ist ein Gefängnis.“
„Sehr richtig!“
„Was soll ich hier? Befindet sich hier der Kollekteur?“
„Hoffentlich! Wollen einmal fragen!“
Der Schließer war, als er sie bemerkte, sofort nähergekommen. Der Anwalt fragte ihn:
„Zwei Zugänge gekommen?“
„Ja, Herr Staatsanwalt. Lotteriekollekteur Naumann nebst Vater.“
„Bereits interniert?“
„Noch nicht. Man ist noch bei der Einkleidung.“
„Ah, so können wir jetzt nicht mit ihnen sprechen. Wir müssen also noch ein wenig warten, Herr Levi. Bitte, treten Sie einstweilen hier ein!“
Er zeigte auf eine Tür, über welcher kein Name hing. Der Schließer verstand ihn sofort und öffnete.
„Hier eintreten?“ fragte der Jude entsetzt.
„Ja, bitte.“
„Herr Zebaoth! Ein Loch mit einer Pritsche, einem Kübel, zwei Ketten und eisernen Stangen am Fenster!“
„Das ist hier so gebräuchlich.“
„Eine Gefängniszelle!“
„Allerdings.“
„Gott der Gerechte! Da hinein soll ich?“
„Jawohl, Herr Levi!“
„Um auf den Kollekteur zu warten?“
„Ja. Ich hoffe, daß Ihnen die Zeit nicht lang werden wird.“
Jetzt erst begann dem Juden ein Licht aufzugehen.
„Herr des Himmels und der Erde!“ rief er. „Ich hoffe doch, daß man mich nicht warten läßt gar zu lang!“
„Man wird diese Angelegenheit so schnell wie möglich erledigen. Haben Sie keine Sorge!“
„Kann ich nicht einstweilen warten woanders?“
„Es ist hier für uns am bequemsten. Also, treten Sie ein!“
„Oder soll ich etwa sein ein Gefangener?“
„Sie sind sistiert!“
„Sistiert? Welch ein Wort ist das? Was hat es zu bedeuten?“
„Denken Sie darüber hier in der Zelle nach!“
Er wurde hineingeschoben, und dann klirrten die Riegel vor. Er stieß einen lauten, unartikulierten Schrei aus und sank auf die Pritsche, um sich mit beiden Händen das Haar zu raufen.
ZWEITES KAPITEL
Die Schlinge um den Hals
Es war nachts, kurz vor zwölf Uhr. Es schneite, und die Flocken fielen so dicht hernieder, daß der Schein der Gaslaternen nicht sehr weit zu dringen vermochte. Zwei Männer kamen die Straße, in welcher der Agent Bauer wohnte, heraufgeschritten. An der hinteren Seite des Helfensteinschen Palais blieben sie stehen und blickten nach der Wohnung des Agenten empor.
„Was ist das?“ fragte der eine, welcher kein anderer war als Adolf, der Geheimpolizist. „Zwei Lichter!“
„Das ist wohl noch nicht dagewesen?“ fragte der andere.
„Nein, Durchlaucht.“
„Natürlich hat es etwas zu bedeuten.“
„Aber was?“
„Das müssen wir zu erfahren suchen. Also ein Spiegel des Tages oder ein Licht des Abends ist für den Hauptmann das Zeichen, daß der Agent ihn sprechen will. Was wird –“
Er hielt inne. Ein Mann war nähergekommen, passierte an ihnen vorüber, hielt den Blick empor zu den beiden am Fenster brennenden Lichtern gerichtet und sagte halblaut:
„Auch einer!“
Dann ging er, ohne sich umzusehen, weiter.
„Was wollte dieser?“ meinte Adolf.
„Hm! Sonderbar! Sollte das etwa gar zu bedeuten haben: Ich bin auch einer?“
„Möglich.“
„Dann gehörte er zur Bande des Hauptmanns.“
„Und das Wort ist vielleicht ein Erkennungszeichen.“
„Wäre dies der Fall, so hätten wir eine recht gute Entdeckung gemacht. Ah, da kommt wieder jemand.“
Eine zweite Gestalt tauchte aus dem bewegten Schleier des Schneegestöbers auf, kam näher und sagte im Vorüberschreiten und auch mit halblauter Stimme:
„Auch einer.“
„Es ist so!“ flüsterte der Fürst. „Die zwei Lichter sind wohl das Versammlungszeichen. Ich muß diesem Kerl nach. Du hast deine Instruktionen. Mach keine Fehler!“
„Keine Sorge, Durchlaucht!“
Der Fürst eilte fort, und Adolf schritt in der entgegengesetzten Richtung dahin. Als er die ihm von dem emeritierten Kantor angegebene Stelle erreichte, begann er langsam auf und ab zu patrouillieren.
Da schlug es zwölf. Er strich mit dem Stock,
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