64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Schenke!“ meinte der Sohn.
„Man wird unsere Spuren sehen.“
„Nein. Unter den Tannen gibt es keinen Schnee. Er ist zum Glück selbst im Freien nicht sehr hoch.“
Sie rannten in höchster Eile im Wald parallel mit der Straße dahin, bis drüben auf der andern Seite der letzteren sich ein Gebäudekomplex zeigte, neben dessen Vordertür einige Pferdekrippen standen. Über dieser Tür waren die Worte ‚Zur Bergschenke‘ zu lesen.
Der alte Schmied steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen nicht sehr lauten, aber durchdringenden und eigentümlich trillernden Pfiff aus. Bereits nach kurzer Zeit wurde drüben die Tür geöffnet und der Wirt trat heraus. Er blickte sich forschend um.
Wolf pfiff abermals, aber viel leiser als vorher. Da kam der Wirt über die Straße herübergeschritten. Er trat zwischen die Bäume herein.
„Tausend Teufel! Wolf!“ rief er erschrocken.
„Brüll nicht so!“ antwortete der Alte.
„Seid ihr ausgerissen?“
„Ja. Du mußt uns helfen.“
„Wie denn?“
„Wir müssen nach der Hauptstadt.“
„Wie seid ihr denn entkommen?“
„Das zu erzählen, ist jetzt keine Zeit. Man wird uns gleich auf den Fersen sein.“
„Na ja, also schnell. Ich bin ganz froh, daß ihr frei seid. Wir steckten in fürchterlicher Angst, daß ihr schwatzen würdet. Dann wäre es um uns geschehen gewesen!“
„Fällt uns nicht ein. Sind deine Pferde daheim?“
„Ja.“
„Spanne rasch an!“
„Hm! Eine verteufelte Geschichte! Gut, daß meine Alte nicht daheim ist. Der würde die Sache auffällig sein.“
„Nimm viel Stroh mit, damit wir uns verstecken können; bring auch zwei Hüte oder Mützen mit, auch einiges Geld und Proviant. In der Residenz bezahlen wir.“
„Wollt ihr denn hier warten?“
„Wie lange dauert es?“
„Eine halbe Stunde immerhin.“
„So lange Zeit können wir uns unmöglich herstellen!“
„So lauft fort und sagt, wo ich euch treffen soll.“
„Hinter dem nächsten Dorf, wenn du bei der Windmühle vorüber bist, im Wald.“
„So macht, daß ihr fortkommt!“
Sie gingen, und er kehrte in die Stube zurück. Dort saß sein Sohn und fragte neugierig:
„Nicht wahr, es war der Pascherpfiff?“
„Ja. Du hattest richtig gehört.“
„Wer war es denn?“
„Ein Bote von drüben herüber.“
„Endlich wieder einmal! Wir haben lange genug feiern müssen. Gibt's ein Geschäft?“
„Ja. Ich soll etwas abholen. Wir müssen sofort einspannen. Geh in den Stall. Schirr die Pferde ein!“
„Das schwere Geschirr?“
„Das leichte. Ich nehme den Rollwagen.“
Der Sohn begab sich nach dem Stall, und der Vater ging nach dem Hof, wo der Rollwagen stand. Er steckte einige Strohbündel hinein, tat ein paar Decken hinzu und zog ihn zum Tor hinaus. Er hatte einiges an dem Wagen herumzuwischen und zu putzen und beachtete da die Straße nicht. Darum erschrak er fast, als er angeredet wurde.
„Guten Morgen, Bergwirt!“
Er drehte sich um. Vor ihm stand ein Gendarm, welcher öfters bei ihm einkehrte.
„Guten Morgen!“ antwortete er. „Auch auf den Beinen?“
„Ja. Haben Sie Gäste drin?“
„Keinen Menschen.“
„Auch nicht gehabt?“
„Noch nicht.“
„Seit welcher Zeit sind Sie hier vor dem Haus?“
„Hm“, antwortete der schlaue Wirt, „ich habe wohl über eine halbe Stunde hier am Wagen herumhantiert.“
„Kam während der Zeit jemand vorüber?“
„Nein.“
„Wirklich nicht?“
„Gewiß nicht. Ich müßte es gesehen haben. Sie fischen wohl nach irgend jemand?“
„Freilich, freilich! Ich will es Ihnen sagen, damit Sie mir vorkommendenfalls einen Wink geben können. Kennen Sie die beiden Wölfe?“
„Wölfe? Was für Wölfe? Gibt's hier solches Raubzeug?“
„Ich wollte sagen, die beiden Wolfs, die Schmiede aus Tannenstein da drüben.“
„Ach, Sie meinen die Schmuggelbrüder?“
„Ja.“
„Nun, wenigstens den Alten habe ich einmal gesehen.“
„Würden Sie ihn wiedererkennen?“
„Ich denke es. Aber, sie sind doch gefangen!“
„Sie sind vor einer Viertelstunde entsprungen.“
„Heiliges Sapperment! Wie ist das möglich?“
„Sie haben den Aktuar erstochen und sind durch das Fenster auf die Gasse herabgesprungen.“
Der Alte schlug, jetzt wirklich erschrocken, beide Hände zusammen, fuhr einige Schritte zurück und rief:
„Herr, mein Heiland! Doch nicht?“
„Ja. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, und die Polizei rennt zunächst nach allen Seiten hinaus, um zu erfahren, nach welcher Richtung sie
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