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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verwegen!“
    „Pah! Haben sie sich denn schlecht geführt?“
    „Nein. Sie sind im Gegenteil lammfromm gewesen. Aber gerade solchen Folgsamen ist nicht zu trauen. Soll ich vielleicht mit hereinkommen?“
    „Nein. Sie wissen ja, daß während der Voruntersuchung über die Aussage der Gefangenen nichts verlauten darf, und darum –“
    „Ich verrate nichts!“
    „Das weiß ich. Aber ich brauche Sie nicht. Übrigens habe ich ja, wie ein jeder anderer Untersuchungsbeamter, hier meinen Revolver.“
    „So werde ich mich wenigstens in der Nähe der Tür aufhalten. Sollte etwas geschehen, so rufen Sie!“
    Er ging, und der Aktuar zuckte lächelnd die Achsel. Dennoch aber nahm er den Revolver aus dem Kasten und legte ihn neben das aufgeschlagene Aktenheft hin.
    Der alte Schmied war der erste, welcher in das Wartezimmer gebracht wurde. Er schritt sofort auf die wohlbekannte Tür zu, hinter welcher er den Aktuar wußte, aber der Amtsdiener sagte:
    „Noch nicht. Ich habe erst Ihren Sohn zu holen. Setzen Sie sich einstweilen da auf die Bank!“
    Der Alte gehorchte. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich; aber als er sich setzte, dehnte und reckte er seine Glieder, als ob er sich überzeugen wolle, ob sie noch kräftig genug seien zu dem, was er sich im Augenblick vorgenommen hatte.
    Als sein Sohn gebracht wurde, blieb dieser beim Anblick des Vaters überrascht stehen.
    „Du auch hier?“ fragte er.
    „Ja“, brummte der Alte, ohne aufzusehen.
    „Sie sollen konfrontiert werden“, sagte der Diener mit wichtigem Ton. „Treten Sie jetzt ein!“
    Er öffnete die Tür. Dabei drehte er ihnen nur einen Augenblick lang den Rücken zu; aber dieser Moment genügte vollständig. Ein gegenseitiger schneller Aufblitz der Augen und die beiden wußten, was geschehen werde. Als sie eintraten, war ihr Aussehen so unbefangen und demütig, daß der Aktuar dem Amtsdiener durch ein Achselzucken andeutete, für wie ungerechtfertigt er seine vorhin ausgesprochene Besorgnis halte.
    Dennoch aber postierte sich der letztere draußen an die Tür, um beim geringsten Zeichen, daß der Untersuchende sich in Gefahr befinde, diesem zu Hilfe zu eilen. Leider aber durfte er seine anderen Obliegenheiten nicht versäumen, und so kam es, daß er seinen Platz sehr bald verlassen mußte.
    Später stellte er sich freilich wieder hin. Er hörte nicht das mindeste Auffällige; auffällig fand er nur die tiefe Stille, welche da drinnen herrschte. Er hörte kein Wort, während er doch vorhin die Stimme des Aktuars und auch diejenigen der Antwortenden gehört hatte, wenn es ihm auch unmöglich gewesen war, die Worte selbst zu verstehen.
    Dies kam ihm je länger desto mehr verdächtig vor. Sollte er öffnen? Das durfte er nicht. Aber als jetzt zufälligerweise der Amtswachtmeister in das Wartezimmer trat, sagte er zu diesem:
    „Herr Wachtmeister, geben Sie mir einen Rat. Die beiden Schmiede befinden sich seit einer Stunde zur Konfrontation bei dem Herrn –“
    „Das weiß ich“, fiel ihm der Vorgesetzte in die Rede. „Was ist's mit ihnen?“
    „Ich höre sie nicht sprechen.“
    „Natürlich! Das Brüllen würde man ihnen bald verbieten!“
    „Oh, sie brauchen nicht zu brüllen, um gehört zu werden. Es ist aber todesstill da drin!“
    „Horchen wir einmal!“
    Er legte das Ohr an die Tür und brummte nach einer Weile:
    „Kein Wort! Der Herr Aktuar wird schreiben.“
    „Da müßte er bereits seit einer halben Stunde geschrieben haben, ohne zu sprechen. Und das kommt bei einem Kreuzverhör doch wohl niemals vor.“
    Jetzt schien der Wachtmeister auch unruhig zu werden.
    „Warten wir noch ein Weilchen“, sagte er.
    Beide legten die Ohren an die Türe, aber als sich auch jetzt noch mehrere Minuten lang kein Ton hören ließ, sagte der Amtsdiener:
    „Ich schlage vor, nachzusehen.“
    „Es wird allerdings das beste sein.“
    Er klopfte an und als auch jetzt keine Antwort erfolgte, da machte er die Tür auf, um einzutreten. Er hatte aber den Fuß kaum erhoben, so rief er:
    „Herrgott! Was ist das?“
    Und der Diener, welcher hinter ihm stand und über seine Achsel in das Zimmer blickte, schrie mit dröhnender Stimme:
    „Hilfe! Mord! Mord! Mord!“
    Im Nu öffneten sich die Türen sämtlicher Zimmer und die Insassen der letzteren eilten herbei. Sie sahen den armen Aktuar gebrochenen Auges auf der Diele liegen. Gerade in seinem Herzen stak die eine Klinge der langen, spitzen Papierschere. Er war eine Leiche. Das Fenster stand offen und – der Revolver

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