64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
und anzuspannen, und der Fürst, welcher ihm lächelnd zuschaute. Der Bergwirt stieg auf und fuhr zum Tor hinaus. Da hielt der Fürst die Pferde am Zügel fest und sagte:
„Bergwirt, wenn Sie auch jetzt entkommen, fassen wird man Sie doch. Sie haben zwei Mördern zur Flucht verholfen. Und damit Sie nicht auch noch wegen Zechprellerei bestraft werden, so machen Sie wenigstens, bevor Sie aufbrechen, Ihre Zeche ab. Ich bin der Fürst des Elends und will Ihrer Flucht nichts in den Weg legen.“
Er ging. Der erschrockene Wirt aber stieg vom Wagen und trat in die Stube. Dort gab er der Kellnerin zwei Guldenstücke und sagte:
„Hier geht mir's zu laut zu. Da ist meine Zeche!“
Sie wußte nicht, daß man die beiden Schmiede in und an seinem Wagen gefangen hatte, und da alle anderen Anwesenden ihre Aufmerksamkeit einzig auf die Gefangenen richteten, so konnte er die Stube verlassen, ohne daran gehindert zu werden.
Der alte Wolf saß ingrimmig neben seinem Sohn, welchen man auf die Diele gelegt hatte, und gab auf keine der an ihn gerichteten Fragen eine Antwort.
„Verstockter Kerl!“ sagte einer der Polizisten. „Wir bringen kein Wort aus ihm. Aber holt doch den Fürsten des Elends herbei; dem wird er schon antworten.“
„Den Fürsten des Elends? Wo ist er? War er hier?“ erklang es rundum.
„Natürlich! Er kam ja zu uns und führte uns hierher. Er wird noch draußen im Hof sein.“
Man ging hinaus. Man suchte und rief. Niemand sah ihn. Er war gegangen, so wie er gekommen: rätselhaft.
Nachdem er dem Bergwirt seine Verwarnung gesagt hatte, war er nach dem Palais des Barons von Helfenstein zurückgekehrt. Da oben, in dem Arbeitszimmer des Barons, brannte noch Licht, und ein Schatten ging hin und her.
Auch das hohe, breite Portal war noch offen.
„Ah, ich werde zu ihm gehen“, flüsterte er. „Ich werde ihm jetzt die letzte Schlinge um den Hals legen.“
Er trat ein und stieg die Freitreppe hinauf. Droben im Korridor stand der Diener mit der Köchin scherzend beisammen. Beide wunderten sich, zu so später Zeit noch einen Fremden zu sehen.
„Was wünschen Sie?“ fragte der Diener.
„Der Herr Baron ist daheim?“
„Nein.“
„Das ist nicht wahr. Er ist in seinem Arbeitszimmer!“
„Aber für so späte Visite doch nicht daheim.“
„Für mich ist er zu sprechen. Gehen Sie!“
„Wen soll ich anmelden?“
„Er kennt meinen Namen. Sagen Sie, ein Bekannter wünsche ihn in einer dringenden Angelegenheit noch zu sprechen.“
Der Diener ging. Es währte eine ziemliche Weile, ehe er wiederkehrte. Er fragte:
„Ist die Sache wirklich so dringlich?“
„Wünschen Sie das zu wissen oder Ihr Herr?“
„Der Herr Baron. Er hat mir befohlen, noch einmal zu fragen. Wenn die Angelegenheit nicht notwendig ist, bin ich es, der den Verweis erhält!“
„Sie ist unaufschiebbar.“
„So kommen Sie.“
Er führte ihn nach der betreffenden Tür, öffnete, ließ ihn eintreten und machte sie hinter ihm zu.
Der Baron saß am Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestemmt, und hielt das mehr als unmutige Gesicht finsteren Blicks auf den Eintretenden gerichtet. Kaum aber war der Schein des Lichts auf diesen gefallen, so sprang er von seinem Sitze auf und rief:
„Hölle und Teufel! Wer ist das?“
„Hoffentlich kennen Sie mich noch, Herr Baron?“ sagte der Fürst, indem er eine halbe Verbeugung machte.
„Sie sind – sie sind –“
Er brachte vor Schreck das Weitere nicht hervor.
„Ich hatte die Ehre, mich eines Frühmorgens mit Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin zu unterhalten!“
„Ja, ja! Weiß schon! Sie sind der Fürst des Elends!“
„Ich sehe, daß Sie mich nicht vergessen haben!“
„Nein. Sie haben schon dafür gesorgt, daß ich jenen Morgen nicht vergessen kann. Aber, zum Donnerwetter! Herr, Sie scheinen verdammt wenig Übung in den Regeln des Anstandes zu besitzen!“
„Wieso?“
„Habe ich Sie rufen lassen oder eingeladen?“
„Nein. Ich komme aus eigener Intention.“
„Dann kommen Sie doch nicht morgens fünf Uhr oder abends kurz vor Mitternacht! Und sagen Sie Ihren Namen, wenn Sie sich anmelden lassen!“
Der Baron bebte vor Zorn. Der Fürst aber lächelte ihm ruhig ins Gesicht und sagte:
„Ich komme gerade dann, wenn Ihnen meine Gegenwart am dienlichsten ist; ich muß dabei Ihr Heil berücksichtigen, nicht aber die frühe oder späte Tagesstunde.“
„Mein Heil? Spotten Sie etwa?“
„Ganz und gar nicht.“
„War etwa Ihr letzter Besuch zu meinem Heil?“
„Ganz
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