64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
noch gar nichts bestimmen können. Wie nun aber, wenn Ihr Trumpf, den Sie ausspielen, zum Gelingen kommt? Haben Sie in diesem Fall auch Arbeit für mich?“
„Erst recht; erst recht!“
„Dann gut; so sind wir einig. Sind Sie des Apothekers sicher?“
„Ich traue ihm nicht mehr recht; aber er hat ja nichts gehört.“
„Er weiß aber, daß ich da bin. Wenn er es verrät, wird man an allen Enden nach mir suchen.“
„Aber Sie doch nicht finden. Dieser Rentier Wunderlich wird Sie doch nicht verraten!“
„Das soll er sehr bleiben lassen! Er selbst würde mit verloren sein.“
„So kommen Sie jetzt!“
Sie verließen den Keller. Droben an der Haustür stand der Apotheker, welcher gewissenhaft Wache gehalten hatte. Der Hauptmann gab ihm ein Geldstück, und dann traten die beiden auf die Straße, wo das Wetter jetzt fast noch ärger tobte als vorher.
„Halten wir uns auf verschiedenen Seiten!“ sagte der Baron.
„Wohin gehen wir?“
„Altmarkt!“
Mehr konnten sie nicht miteinander sprechen. Sie hatten mit allen Kräften gegen den Sturm anzukämpfen und erreichten den Altmarkt, ohne einem Menschen begegnet zu sein.
„Stecken Sie sich dort hinter die Bäume!“ riet der Baron dem riesigen Verbündeten.
Dieser gehorchte. Er sah den Baron in den strömenden Regen verschwinden. Nach einiger Zeit kehrte derselbe zu ihm an den Brunnen zurück.
„Hier sind die hundert Gulden“, sagte er, ihm ein volles Portemonnaie in die Hand drückend. „Und hier ist der Hauptschlüssel. Er schließt alles, nur die Türen der einzelnen Zellen nicht.“
„Das ist auch nicht nötig. Bin ich einmal darin, so ist der Zellenschlüssel schon zu bekommen.“
„So sind wir jetzt also fertig.“
„Nicht ganz. Wenn nichts passiert, wie treffe ich Sie da?“
„Es wird besser sein, ich suche Sie auf.“
„Bei Wunderlich?“
„Ja. Machen wir ein Zeichen aus.“
„Das ist nicht notwendig. Sagen Sie ihm meinen Namen, so wird er Sie zu mir lassen.“
„Gut. Ein anderer wird doch nicht erfahren, wo Sie stecken?“
„Nein. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“
Bormann schlug die Richtung nach dem Neumarkt ein, suchte aber, ehe er diesen erreichte, ein kleines Seitengäßchen auf. Die eine Seite desselben wurde von Häusern, die andere aber von einer Mauer gebildet.
Dieses letztere war bald hoch, bald niedriger. An einer Stelle, welche ihm bekannt zu sein schien, stieg er über und befand sich nun in einem kleinen Gärtchen, welches zu dem Haus Neumarkt Zwölf gehörte.
Er trat aus dem Garten in den Hof und musterte die Reihe der dort erleuchteten Fenster. Dann hob er einige Sandkörnchen auf und warf sie an eines derselben. Der rasende Sturm übertönte das Klingen des Sandes an dem Glas. Bormann mußte das Experiment wiederholen.
Endlich öffnete sich oben ein Fensterflügel, und der Kopf eines Mannes erschien. Der unten Stehende schlug die Hände dreimal in eigentümlicher Weise zusammen, und sofort zog sich der Kopf zurück.
Bereits nach kurzer Zeit wurde die Hintertür geöffnet, und es kam jemand in den Hof, ergriff ihn bei der Hand und zog ihn nach einem Schuppen, in welchem Holz und Kohlen aufgespeichert lagen.
„Bormann, du bist's?“ fragte der Mann.
„Ja. Wer sonst? Hast du noch andere mit demselben Zeichen?“
„Nein. Aber Mann, du wagst viel!“
„Nicht so viel, wie du denkst.“
„Was willst du in der Residenz?“
„Geld.“
„Ah! Von wem?“
„Keine Sorge! Von dir nicht!“
„Ich hätte auch keins.“
„Aber etwas anderes hast du, was ich notwendig brauche.“
„Was?“
„Logis.“
„Bist du des Teufels?“ fragte Wunderlich erschrocken.
„Des Teufels nicht; aber müde und hungrig bin ich.“
„Ich habe keinen Platz für dich!“
„In deiner ganzen Etage nicht?“
„Nein.“
„Hast du etwa Einquartierung?“
„Das nicht; aber du kennst deine Lage.“
„Die kenne ich. Sie ist sehr unangenehm. Ich bin naß bis auf die Haut. Deine Gaststube würde mir sehr guttun!“
„Daran denke ja nicht!“
„Oh, ich denke eben an weiter nichts als nur daran!“
„So schlage es dir getrost aus dem Sinn!“
„Das kannst du mir nicht zumuten!“
„Und du kannst mir nicht zumuten, daß ich mich deinetwegen in so große Gefahr begebe.“
„Diese Gefahr ist sehr gering. Wer sieht mich bei dir?“
„Jeder, welcher kommt!“
„So laß mich nicht sehen.“
„Kann ich dich denn verleugnen?“
„Ja doch!“
„Vor meiner Frau?“
„Wir machen eine
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