65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Sie!“
Sie hing schwer in seinem Arm, den er jetzt um ihre Taille legte. Schritt um Schritt, sie ächzend und er sie tröstend und ermutigend, gingen sie nach der Tür und traten ein. Er schob den Riegel vor.
„Wohin nun?“ fragte sie.
„Nach oben.“
„Gott! Diese Treppe hinauf?“
„Ja.“
„Ist denn unten kein Zimmer?“
„Kein einziges. Sie müssen es schon versuchen.“
„So sterbe ich vor Schmerz.“
Es dauerte lange, sehr lange, bevor sie die Treppe überwanden und die Stube erreichten. Dort fiel sie ganz ermattet auf das Kanapee.
„Jetzt hole ich Essig“, sagte er.
Er ging hinaus. Sofort veränderte sich ihr Gesicht. Es zeigte sich ein höhnisches Lachen auf demselben, und sie flüsterte:
„Dummer Mensch! Welch ein Loch dies hier ist! Aber Geld, ich brauche Geld!“
Er kam mit einer Schüssel zurück, in welche er Essig gegossen hatte.
„Hier, meine Gnädige!“ sagte er. „Da sind auch Tücher zum Umschlag. Soll ich es machen?“
„Ja. Ich kann es ja doch nicht.“
„Aber der Schuh! Den müssen Sie ausziehen.“
„O weh! Daran dachte ich nicht. Der wird wohl nicht herabgehen.“
„Versuchen wir es! Erlauben Sie?“
„Ich muß wohl, wenn ich den Schmerz los sein will!“
Er kniete vor ihr hin und nahm ihr kleines Füßchen in die Hand. Sobald er es berührte, schrie sie vor Schmerz auf. Und als er zu ziehen begann, konnte sie es kaum aushalten. Sie wimmerte zum Erbarmen und ließ dann gar den Kopf sinken. Als er den Schuh in der Hand hatte, lag sie ohnmächtig auf dem Kanapee.
„Das Bewußtsein verloren!“ sagte er. „Oh, sie wird schon wieder zu sich kommen. Jetzt zunächst den Umschlag!“
Er zog ihr auch den Strumpf aus. Die Lampe beleuchtete ein kleines, alabasternes Füßchen. Er drückte wieder und immer wieder seine Lippen darauf.
„Man sieht keine Geschwulst!“ meinte er. „Oder sollte der Fuß eigentlich noch kleiner sein als jetzt?“
Er tauchte ein Tuch in den Essig und legte es um den Fuß. Sie bewegte sich nicht. Er stand auf und horchte an ihrem Mund.
„Kein Atem!“ sagte er. „Na, tot ist sie nicht. Eine Ohnmacht ist nicht gefährlich, mir kommt sie sogar ganz gelegen.“
Er verschlang das reizende Mädchen mit gierigen Augen. Er legte den Arm um sie, sich auf das Kanapee setzend, zog ihren Kopf empor und küßte sie.
„Endlich, endlich, endlich!“ sagte er. „Ah, wenn sie es wüßte. Was würde sie sagen! Und doch gäbe ich alles, alles her, wenn sie mein sein wollte!“
Er hielt sie umschlungen und drückte sie fest, fest an sich. Dann, als die Ohnmacht doch gar zu lange dauerte, öffnete er ihr das Kleid, damit die Brust freier atmen könne. Das half. Ihr Busen bewegte sich; er fühlte das mit der Hand. Und bald hörte er auch ihren Atem gehen.
Er dachte nicht daran, sie aus seiner Umarmung zu lassen. Er vergaß alles. Er sah sie vor sich, so schön, so verführerisch, und er fühlte nichts anderes als nur das Verlangen, dieses Glück vollständig auszukosten.
Da begann sie, sich zu bewegen. Ihre Augen blieben geschlossen, aber ihre Lippen bewegten sich.
„Wo bin ich?“ fragte sie leise.
„Bei mir“, antwortete er.
„Bei dir!“ flüsterte sie.
Dabei flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Das riß ihn hin, so daß er seinen Mund auf den ihrigen legte, um sie zu küssen und immer wieder zu küssen.
„Du Lieber, Lieber!“ hauchte sie.
Er fühlte, daß sie seine Küsse erwiderte. Das raubte ihm fast die Besinnung. Er hätte laut aufjubeln mögen, tat es aber doch nicht. Sie war noch nicht völlig bei Besinnung. Sie hielt ihn jedenfalls für einen anderen, und er wollte diese für ihn so angenehme Täuschung nicht gewaltsam beendigen.
Endlich schlug sie langsam die Augen auf. Ihr Blick ruhte erst ganz ausdrucklos in seinem Gesicht; dann kam Leben in das Auge. Sie erkannte ihn. Sie schrak zusammen und wollte sich ihm entziehen. Er aber hielt sie fest.
„Wer – wer sind Sie?“ fragte sie ungewiß.
„Ich bin es, ich!“ antwortete er, sie wiederholt an sich drückend.
„Wo – wo bin ich?“
Ihr Blick irrte erstaunt in der Stube umher.
„Bei mir, du herrliches Mädchen!“
„Bei dir – bei Ihnen! Herrgott!“
Jetzt fuhr sie auf, um sich von ihm loszumachen.
„Nein“, sagte er, „nein! Ich lasse Sie nicht! Sie müssen liegen bleiben, hier an meinem Herzen!“
„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich gehen!“
Sie sträubte sich; sie gab sich scheinbar alle Mühe, von ihm loszukommen –
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