65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
bin. Er will sie wiederhaben und drohte mit dem Gericht.“
„Er wird warten.“
„Ich glaube es nicht.“
„Oh, ich weiß gewiß, daß er warten wird!“
Sie sagte das in einem so zuversichtlichen Ton, daß er sie erstaunt ansah. Er fragte:
„Wie kannst du das so bestimmt behaupten?“
„Das will ich dir sagen. Ich habe bisher darüber geschwiegen. Der Alte ist in mich verliebt.“
„In dich ver – liebt? Ist er toll?“
„Ja, er ist toll, nämlich ganz toll vor Liebe.“
„Du hast es bemerkt, oder hat er gar davon gesprochen?“
„Er hat auf den Knien vor mir gelegen.“
„Unglaublich!“
„Oh, er hat mir seine Liebe gestanden. Er hat mir seine Reichtümer angeboten. Er hat geschluchzt und gejammert und mir den Himmel versprochen, wenn ich seine Frau werden will.“
„Das ist stark! Er ist fast siebzig.“
„Das sind die Schlimmsten. Übrigens verdenke ich es ihm gar nicht!“
Sie sagte diese letzten Worte unter einem zynischen Lachen und fuhr dann weiter fort:
„Vorigen Sommer badete ich unten im Fluß. Ich hatte Lust, einmal im Freien zu baden anstatt im engen Badehäuschen. Die Gegend ist einsam; es gab keinen Menschen in der Nähe, und so ging ich ins freie Wasser, ganz ohne Badeanzug, den ich nicht mithatte, weil ich nicht aufs Baden ausgegangen war. Und denk dir, der Alte hat mich belauscht!“
„Ah! Er war in der Nähe?“
„Er hat in den Weiden gesteckt, welche am Ufer stehen.“
„Sahst du ihn dann noch?“
„Nein. Ich hatte keine Ahnung von der Gegenwart eines Menschen. Er erzählte es mir, als er mir die Liebeserklärung machte.“
„Das ist stark! Es auch noch zu erzählen!“
„Ja. Nun denke dir einen Menschen, wie er ist. Ein alter Junggeselle, welcher wegen seiner Häßlichkeit keine Frau bekommen hat. Er sieht mir fast eine ganze Stunde lang zu. Es ist wirklich kein Wunder, daß er gemeint hat, es müsse hübsch sein, mich zur Frau zu haben.“
„Aber er, er! Ein Bürgerlicher, ohne Namen und Herkunft! Ein Mensch, der sich in eine halbe Ruine zurückgezogen hat, mit keiner Seele verkehrt, kein anderes Vergnügen kennt als Geld zählen und immer wieder Geld zählen, häßlich wie ein Pavian – ah!“
„Er ist seit jener Zeit immer bemüht gewesen, mir zu begegnen. Erst kürzlich wieder traf er mich. Er wollte mir die Hand küssen, ich aber litt es nicht; aus Zorn darüber hat er dir das Geld abverlangt und mit dem Gericht gedroht. Übrigens hat er es dir nur geborgt, weil er eben damals mich kurz vorher im Bad gesehen hat.“
„Also er soll dir das Geld geben?“
„Ja.“
„Du willst es von ihm verlangen?“
„Ich denke, daß er es mir selbst anbieten wird.“
„Und du willst – ah, willst du dich verkaufen?“
„Fällt mir nicht ein!“
„Fünfundzwanzigtausend Gulden! Bedenke, welch eine Summe! Die borgt er nicht bloß aus reiner Anbetung her. Er wird ein Äquivalent verlangen.“
„Das ist meine Sache. Sprechen wir nicht darüber. Die Angelegenheit ist zu zart dazu. Was ich tue, das tue ich für mich. Übrigens brauchen wir ja das Geld nur für kurze Zeit, denn es versteht sich ganz von selbst, daß dieser Jakob Simeon es wieder hergeben muß.“
„Er wird sich hüten!“
„Überlaß auch mir das! Du kennst mich!“
„Gut! Überlege dir die Sache und tue, was dir am geratensten erscheint.“
Er ging.
Diese beiden Menschen waren einander wert. Sie besaßen weder Gewissen noch wirkliches Ehrgefühl. Die Tochter war eine Amazone, von männlichem Charakter. Sie wollte reich sein und in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Das erstere war sie nicht, obgleich sie zu leben verstanden hatte, daß man sie für reich hielt. Das letztere hoffte sie als Frau Hagenaus zu erreichen.
Als ihr Vater sie jetzt verlassen hatte, trat sie wieder vor den Spiegel und betrachtete sich. Dabei murmelte sie:
„Fünfundzwanzigtausend! Ob er sie bar da liegen hat? Wie fange ich es an? Ich mache ihn verrückt. Freilich werde ich – ah, brrrr – mich von ihm küssen lassen müssen! Aber es geht nicht anders. Es ist bereits Dämmerung. Niemand sieht mich zu ihm gehen. Ich versuche es einmal!“
Sie machte Toilette, und zwar in wirklich raffinierter Weise, dann verließ sie das Zimmer. Sie ging durch den Garten des Gutes und erreichte das freie Feld, wo sie einem schmalen Fußpfad folgte.
Es wurde dunkler und dunkler. Von weitem schimmerte ein einsames Licht. Es kam aus einem kleinen Fenster eines alten, turmähnlichen Gebäudes, welches einsam
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