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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hier im Freien lag. Seit langer Zeit wohnte da ein alter Hagestolz, welcher Winter hieß. Niemand wußte, woher er war und was er eigentlich sei. Man wußte nur, daß er reich sei. Er wohnte ganz allein in einem ruinenhaften Gebäude. Trotzdem wagte niemand, ihm etwa seines Geldes wegen einen feindseligen Besuch zu machen, denn er besaß zwei Hunde von riesiger Größe, welche einen jeden zerrissen hätten.
    Jetzt befand er sich in einer Stube, welche ihm als Schlafzimmer diente. Hinter dem Bett stand eine altfränkische eiserne Truhe, welche sein Geld enthielt. Die Wände waren mit obszönen, schmierigen Bildern beklebt. Er saß vor einem Tisch, auf welchen Goldhäufchen aneinandergereiht waren. Er zählte.
    Das war seine Lieblingsbeschäftigung.
    Da schlug draußen einer seiner Hunde an. Der andere fiel ein; sie bellten, als ob sie jemand zerreißen wollten, und dazwischen ertönte der Schrei einer menschlichen Stimme.
    „Wer ist da?“ sagte er zu sich. „Am Abend, in der Dunkelheit! Wer hat sich hergewagt? Jedenfalls ein Spitzbube! Ich werde nachsehen.“
    Er verließ den Raum, ging durch die Wohnstube und stieg eine schmale, steinerne Treppe hinab. Auf eine der Stufen setzte er die Lampe, deren Schein den dicken, schweren Riegel beleuchtete, welcher die massive Tür verschloß. Er öffnete die letztere ein wenig und fragte:
    „Wer ist da?“
    Wegen des Hundegebelles konnte er die Antwort nicht verstehen; aber es war ihm, als ob die Stimme eine weibliche sei. Er gebot den Hunden Schweigen. Sie gehorchten, und er wiederholte seine Frage.
    „Entsetzlich! Fast wäre ich auch noch zerrissen worden!“
    Diese Stimme kannte er. Es durchzuckte ihn, als ob er elektrisiert worden sei. Er wagte es nicht, an die Wahrheit zu glauben; darum fragte er:
    „Ein Frauenzimmer! Wie heißen Sie?“
    „Helfen Sie mir doch lieber, anstatt zu fragen! Ah, welche Schmerzen!“
    Im nächsten Augenblick stand er neben ihr und sagte:
    „Gnädiges Fräulein! Sie sind es, Sie!“
    „Ja. Jagen Sie zunächst diese Bestien fort!“
    „Oh, die tun Ihnen nichts! Haben Sie keine Sorge! Aber wie kommen Sie denn hierher?“
    Sie saß auf einem Stein, welcher in der Nähe der Tür lag, und ließ ein halb unterdrücktes Stöhnen hören.
    „Ich war spazieren“, antwortete sie, „da drüben am Waldrand. Ich sah eine Natter und sprang zur Seite. Da vertrat ich mir den Fuß.“
    „O weh!“ sagte er im Ton des Mitleids.
    „Ich konnte nicht gehen. Ich wartete. Ich hoffte, es werde jemand kommen; aber niemand kam.“
    „Hätte ich es gewußt!“
    „Es wurde finster. Sollte ich die ganze Nacht dort auf der Erde liegen? Ich kroch fort, weiter und weiter, unter unsäglichen Schmerzen. Ich kam bis hierher, nun geht es aber nicht mehr!“
    „Ich stehe zur Verfügung! Befehlen Sie, was soll ich tun?“
    „Was Sie tun sollen? Ah, diese Schmerzen!“
    „Soll ich einen Wagen holen?“
    „Ja – nein – ja – ach Gott, dann sitze ich so alleine an diesem einsamen Orte! Wenn – wenn – haben Sie Essig da?“
    „Essig? Ja, den habe ich.“
    „Ein Essigumschlag würde wohl den Schmerz lindern.“
    „Ja, gern, gleich! Aber, gnädiges Fräulein, da müßten Sie den Schuh ausziehen.“
    „Ach ja, daran dachte ich nicht! Ausziehen. Hier – oh!“
    „Wenn ich es wagen dürfte, Sie zu mir einzuladen!“
    „Zu Ihnen! Da hinein?“
    „Ja. Befürchten Sie nichts! Sie sind da so sicher wie daheim, wie in Abrahams Schoß!“
    Er sagte das unendlich dringlich. Das schöne Mädchen bei sich, in seiner Stube! Er zitterte vor Erwartung, ob sie auf diesen Vorschlag eingehen werde.
    „Es wird wohl nicht gehen“, antwortete sie. „Nein, unmöglich; es kann nicht sein.“
    „Warum nicht?“
    „So allein! Bei einem Herrn!“
    „Ich schwöre Ihnen tausend Eide, daß Sie nichts zu befürchten haben!“
    „Oh, welch ein Schmerz!“ stöhnte sie.
    „Sehen Sie! Wollen Sie hier sitzen bleiben? Können Sie denn hier einen Umschlag nehmen?“
    „Nein, das ist wahr.“
    „So kommen Sie mit zu mir.“
    „Ich kann ja – kann ja nicht gehen.“
    „Soll ich Sie tragen?“
    „Nein, nein!“ antwortete sie rasch und unter erkünsteltem Schreck. „Nicht tragen!“
    „So müssen Sie also doch gehen. Versuchen Sie es wenigstens. Bitte, ich werde Sie stützen.“
    Er reichte ihr den Arm und half ihr, sich von dem Stein zu erheben.
    „Nicht wahr, es geht?“ fragte er.
    „Sehr schwer! Ah, der Schmerz!“
    „Stützen Sie sich nur fester auf mich! Kommen

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