65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
vergebens. Seine Kraft war der ihrigen überlegen. Sie wurde matt und matter und ließ endlich die sich nutzlos wehrenden Arme sinken.
Er benutzte diese scheinbare Ergebung zu allen Zärtlichkeiten. Sie ließ dieselben über sich ergehen. Plötzlich aber bemerkte sie, daß er ihr Kleid geöffnet hatte. Da schob sie ihn mit ungeahnter Kraft von sich, so daß er seine Arme von ihr lassen mußte.
„Was ist denn mit mir?“ fragte sie. „Was ist geschehen? Träume ich denn, oder habe ich geträumt?“
„Es ist kein Traum, sondern es ist Wirklichkeit“, antwortete er. „Oh, Geliebte, wie glücklich fühle ich mich!“
Sie starrte ihn entsetzt an.
„Geliebte?“ fragte sie.
„Ja, du bist meine Heißgeliebte! Dir gehört mein Leben und alles, was ich habe und was ich bin.“
„Ist's möglich! Wo bin ich? Wie kam ich hierher zu Ihnen? Sie haben mich –“
Sie wollte aufspringen, sank aber mit einem Schmerzensschrei auf das Sofa zurück.
„Gott, mein Fuß!“
„Schmerzt er noch?“ fragte er zärtlich.
„Jetzt, jetzt weiß ich's. Dieser Schmerz bringt mich zum Bewußtsein. Ich hatte mir den Fuß vertreten –“
„Und Sie kamen zu mir, um mich um meine Hilfe zu bitten. Ich führte Sie hierher. Sie wurden ohnmächtig, und ich habe Ihnen unterdessen einen Umschlag gemacht.“
Sie zuckte vor Schreck zusammen.
„Umschlag? Sie? Ein Herr! Oh, Sie haben sogar den Strumpf entfernt, wie ich bemerke!“
„Mußte ich nicht?“
„Nein, Sie mußten nicht! Und dann habe ich gefühlt – gestehen Sie, Sie haben mich geküßt!“
„Ja“, meinte er aufrichtig.
Ihr Auge blitzte vor Zorn.
„Welch eine Frechheit!“
„Verzeihung! Wer kann Ihnen widerstehen!“
„Sie haben mein Vertrauen mißbraucht. Das ist schändlich. Und hier – ah, wer hat Ihnen erlaubt, das Kleid zu öffnen?“
„Sie waren ohnmächtig; ich mußte Ihnen Luft verschaffen.“
„Lieber hätten sie mich sterben lassen sollen! Was soll ich denken; was soll ich tun! Welch eine Beleidigung! Mein Vater wird mich rächen, er mag Genugtuung verlangen. Ich eile sofort nach – o weh, o weh!“
Sie hatte abermals aufspringen wollen, brach jedoch wieder zusammen.
„Bleiben Sie ruhig sitzen!“ sagte er. „Sie können ja doch nicht fort. Ich aber werde gehen, um Hilfe, um einen Wagen für Sie zu holen.“
„Nein, bleiben Sie! Ich mag nicht allein hier sein. Ich fürchte mich zu Tode.“
„Was aber soll ich da bei Ihnen? Sie zürnen doch!“
„Habe ich nicht Ursache dazu? Ehe ich mich hierher führen ließ, sagten Sie, Sie wollten tausend Eide schwören, daß ich nichts zu befürchten habe, und nun haben Sie mich betrogen und mir alles geraubt.“
„Geraubt?“ fragte er erstaunt.
„Ja doch!“
„Alles? Was meinen Sie?“
„Meine Ehre. Ist das nicht alles!“
„Ich habe nicht im mindesten gegen Ihre Ehre gesündigt.“
„Was! Sie leugnen?“
„Ich sage die Wahrheit.“
Da errötete sie und sagte, sich halb abwendend:
„Ah, Sie verstehen mich falsch! Sie haben einen anderen Begriff von Ehre als ich. Wenn Sie ohne Erlaubnis eine Dame berühren, so verletzen Sie ihre Ehre. Und wissen Sie, was dann diese Dame verlangen kann?“
„Was?“
„Die Herstellung ihrer Ehre.“
„Was ist da zu tun?“
„Ah, Sie wissen nicht, in welcher Weise die verletzte Ehre einer Dame restauriert wird?“
„Doch durch die Vermählung?“
„Sehen Sie, daß Sie es wissen! Ich könnte verlangen, daß Sie sofort erklären, mich – oh, diese Beleidigung ist wirklich zu groß.“
„Gnädiges Fräulein, ich bin bereit, es gutzumachen.“
„Das können Sie nicht.“
„Oh, ich kann es und will es!“
„Das ist unmöglich. Eine Dame, welche in der Weise von einem Manne berührt wurde, wie Sie mich berührt haben, kann niemals einem anderen gehören.“
„Gott, das wünsche ich ja!“ rief er aus.
„Ah, Sie meinen, ich solle – Ihre –?“
„Meine Frau sein!“
„Ihre Frau! Jetzt weiß ich es, warum Sie mich hierher gelockt haben. Ich habe Sie abgewiesen, bin Ihnen aber heute willenlos in die Hände gefallen. Sie sind ein Bösewicht!“
Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet, zumal er die Widersprüche derselben gar nicht bemerkte. Ihr Zorn erhöhte nur ihre Schönheit. Er war hingerissen; er ergriff ihre Hand und sagte:
„Verzeihen Sie mir! Was ich tat, das tat ich aus Liebe!“
„Sie haben mich verraten und betrogen. Wie kann ich Ihnen verzeihen? Sie können mir nicht zurückgeben, was Sie mir genommen
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