65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
erreichten das in der ersten Etage gelegene Zimmer von den Hausbewohnern unbemerkt. Hulda legte das Paket ab, um die Lampe anzubrennen.
„Das war ein bekannter Ton“, meinte Mehnert. „Das klang geradeso, als ob das Tuch Gold- und Schmucksachen enthielte.“
„Nicht so neugierig! Und sprechen Sie leiser; man hört uns sonst nebenan. Die Wände sind so dünn. Setzen Sie sich da auf das Sofa!“
Er gehorchte, gehorchte nur gar zu gern. Das Licht brannte, und Mehnert sah, daß er sich in einem sehr traulich eingerichteten Zimmer befand, in welchem zugleich auch das Bett der Inhaberin stand. Diese zog die Stiefeletten aus, um sie mit weichen Pantöffelchen zu vertauschen, wobei ein allerliebstes kleines, weißbestrumpftes Füßchen zum Vorschein kam.
Dann legte sie auch das Tanzkleid ab, um anstelle desselben ein Negligéjäckchen anzuziehen.
„Sie verzeihen!“ sagte sie. „Ich bin ja hier zu Hause. Ich will mir es bequem machen.“
„Tun Sie das, tun Sie das!“ antwortete er, indem er die Augen begierig auf die Reize richtete, welche sie entblößen mußte. So schöne, volle weiße Arme hatte er noch nie gesehen und die volle, vom Schnürleib nicht ganz umfaßte Büste war einer Venus würdig.
„So“, sagte sie. „Jetzt kann man freier atmen, und nun wollen wir auch miteinander sprechen. Rücken Sie ein wenig hin.“
Sie setzte sich neben ihn auf das Sofa. Dieses letztere war klein und zierlich, sodaß die beiden ganz eng aneinander saßen.
„Hätten Sie“, fragte sie, „als Sie mich das erste Mal sahen, es für möglich gehalten, einmal so hier bei mir zu sitzen?“
„Ob es möglich sei oder nicht, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe nur die Sehnsucht nach Ihnen gefühlt.“
„Ist die denn gar so groß gewesen?“
„Unendlich groß!“
„So ist sie also jetzt befriedigt?“
„O nein, noch nicht.“
„Sie sind ja bei mir!“
„Aber nicht so, wie ich es wünsche.“
„Nun, wie wünschen Sie es denn?“
„Ungefähr auf diese Weise.“
Er legte den Arm um sie, um sie an sich zu ziehen, sie jedoch entwand sich ihm und sagte verweisend:
„Ich sehe, daß Sie keine sehr gute Meinung vor mir haben.“
„Wieso? Die Meinung, welche ich von Ihnen habe, ist die allervortrefflichste.“
„Keineswegs. Ich sehe Sie heute eigentlich zum ersten Mal, und dennoch muten Sie mir Zärtlichkeiten zu, welche eine lange Bekanntschaft voraussetzen. Wissen Sie, welchen Mädchen man solche Zumutungen stellen darf?“
„Was denken Sie, Fräulein Hulda! Die echte, wahre Liebe braucht nicht Jahre, um sich zu entwickeln; sie ist im Augenblick da und verlangt sofortigen Gehorsam. Wenigstens ist es mir genauso mit Ihnen ergangen. Als ich Sie zum ersten Mal sah, da wußte ich, daß mein Leben Ihnen geweiht sein würde.“
„Sind Sie vielleicht im Besitz eines Briefstellers?“
„Nein, warum?“
„Ich dachte, Sie hätten diese Worte aus einem solchen auswendig gelernt.“
„Sie sollte nicht spotten!“
„Ich spotte nicht, ich kann aber nicht glauben, daß ich imstande sei, einen gar so schnellen und tiefen Eindruck zu machen.“
„Oh, da kennen Sie sich ja gar nicht.“
„Ich glaube, mich sehr gut zu kennen.“
„Nein. Sehen Sie sich an, wie Sie hier sitzen!“
„Nun, wie denn?“ lächelte sie verführerisch.
„So, daß man sich alle Gewalt antun muß, Sie nicht fest und innig in die Arme zu schließen.“
„Gehen Sie! Was haben Sie denn davon, wenn Sie mich in den Armen halten?“
„Was ich davon habe?“ fragte er erstaunt. „Fragen Sie im Ernst so?“
„Natürlich!“
„Nun, dann haben Sie noch nie geliebt!“
„Allerdings nicht. Sie dagegen desto öfter.“
„Nie!“ beteuerte er.
„Wie? Sie wollen nie geliebt haben und wissen doch so genau, was es mit einer Umarmung für eine Bewandtnis hat? Gehen Sie!“
„Ich habe es auch noch nicht gewußt, sondern ich weiß es erst jetzt in diesem Augenblick. Denken Sie doch daran, was ich Ihnen im Tivoli erzählte.“
„Was?“
„Nun, wie ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, so reizend, so entzückend.“
„Wohl reizender als jetzt?“
„Schöner nicht, aber reizender allerdings. Ich gäbe viel darum, Sie wieder so zu sehen.“
„Sie sind ungenügsam. Ich denke, Ihnen genug gewährt zu haben durch die Erlaubnis, jetzt bei mir hier sitzen zu dürfen. Nicht?“
„Sie machen mich durch diese Erlaubnis wirklich glücklich. Ich muß Ihnen dafür Ihren süßen Mund –“
„Nein, nein!“ fiel sie
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