65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
meiner Tochter sagten?“
„Ja, wirklich.“
„Hm! Vielleicht bin ich nicht abgeneigt, Ihren Wunsch zu erfüllen; aber Sie müssen mir beweisen, daß Ihnen wirklich an meinem Wohl liegt!“
„Das tue ich doch, indem ich Sie warne!“
„Das ist nicht genügend. Wollen Sie mir gegen diese beiden Lauscher helfen?“
„Sehr gern. Was soll ich tun?“
„Sie haben etwas gehört, was kein Mensch hören darf. Ich muß sie zu ewigem Schweigen bringen. Aber wie soll ich das anfangen?“
„Ah, das ist doch sehr leicht.“
„Wieso?“
„Die Kerls sind bei Ihnen eingestiegen, also Spitzbuben, Räuber. Sie können sie niederschießen.“
„Ermorden? Das ist stark!“
„Wer spricht vom Ermorden! Es ist ganz einfach Notwehr. Sie haben das Recht dazu.“
„Es widerstrebt meinen Gefühlen. Und doch gebe ich zu, daß es das beste sein würde.“
„Nicht wahr? Seien wir offen. Ich kenne Sie. Ich will diese Angelegenheit auf mich nehmen, wenn Sie mir fest versprechen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben.“
Es fiel dem Baron gar nicht ein, diesen Menschen als Schwiegersohn zu nehmen, aber versprechen konnte er es ihm dennoch. Darum sagte er:
„Sie wollen diese beiden auf sich nehmen?“
„Ja. Geben Sie mir eine Doppelflinte?“
„Gut! Da sollen Sie Theodolinde haben.“
„Topp! Ich schieße sie beide nieder. Aber Sie müssen mit hinunter in den Garten. Die Sache kann nicht verborgen bleiben und so müssen wir uns gegenseitig als Zeugen dienen. Haben Sie eine Doppelflinte?“
„Ja. Ich hole sie gleich. Warten Sie.“
Er kehrte zunächst nach dem Zimmer zurück, in welchem sich seine Tochter mit dem Goldarbeiter befand und flüsterte ihnen zu:
„Seid still! Hier nebenan sind Lauscher eingestiegen!“
Dann eilte er, ohne sich um den Eindruck seiner Worte zu bekümmern, da er keine Zeit zu verlieren hatte, nach dem Waffenschrank und nahm ein geladenes Doppelgewehr heraus. Auch einen Nickfänger nahm er zu sich und begab sich damit schleunigst zu dem Einsiedler.
„Hier ist das Gewehr, es ist mit Kugeln geladen“, sagte er. „Und hier ist auch ein Messer, wenn die Flinte nicht ausreichen sollte.“
„Gut! Kommen Sie!“
„Die Kerls werden doch noch zu haben sein!“
„Hoffentlich.“
Sie machten trotz ihrer Eile einen kleinen Umweg, um nicht gehört zu werden. Als sie die an die Obstbaumanlage stoßende Waldecke erreichten, traten sie unter die Bäume und schritten leise nach der Giebelseite vor.
„Hier bleiben wir stehen“, sagte der Einsiedler. „Da kann man uns nicht bemerken.“
„Nein, wir müssen näher hinzu!“
„O bewahre. Wenn wir unter den Bäumen vortreten, können sie uns sehen, und das müssen wir vermeiden.“
„Aber Sie haben unsicheres Ziel!“
„Da irren Sie sich. Ich bin ein besserer Schütze, als Sie meinen, und die Mauer ist ja weiß. Wenn die beiden Kerls heraussteigen, werden sich ihre dunklen Gestalten so deutlich gegen dieselbe abzeichnen, daß ich gar nicht fehlen kann. Sie können sich darauf verlassen, daß jeder die Kugel in den Kopf erhält. Passen wir auf.“
Sie warteten und hielten die Blicke fest auf die Leiter und das betreffende Fenster gerichtet.
„Sehen Sie!“ flüsterte der Freiherr.
„Ja“, antwortete leise der andere.
„Das ist einer. Aber, zum Sapperment! Er steigt von unten hinauf. Was ist das?“
„Sollte es ein Dritter sein? Ich schieße ihn weg.“
Er erhob das Gewehr und legte an. Aber in dem Augenblick, als er losdrückte, wurde ihm der Lauf des Gewehrs zur Seite geschlagen und eine weibliche Stimme rief:
„Halt! Herbei, herbei! Ihr sollt ermordet werden!“
„Verflucht! Wer ist das?“ stieß der Einsiedler hervor.
Er wendete sich zur Seite. Er erblickte eine nicht zu hohe Frauengestalt, welche die Flinte und seinen Arm gefaßt hielt. Er entriß ihr das Gewehr und sagte:
„Verdammte Kröte! Fahr zum Teufel!“
Er holte aus, um sie mit dem Kolben niederzuschlagen, wurde aber von hinten gepackt, und eine zweite weibliche Stimme rief:
„Zu Hilfe, Herr Leutnant! Schnell, schnell!“
„Ah, noch eine!“ rief er wütend. „Na, da geht miteinander in die Hölle!“
Er schüttelte auch die andere von sich ab, welche in demselben Augenblick von dem Freiherrn gepackt wurde. Da es sich nur um weibliche Personen handelte, so hatte der letztere den Mut dazu.
Es begann ein kurzes Ringen zwischen den zwei schwachen Wesen und den beiden Männern, wobei diese letzteren nicht bemerkten, daß der, welcher an der Leiter
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