65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
emporgestiegen war und, als der Schuß fiel, bereits das Fenster erreicht hatte, schnell herabglitt. Auch aus dem Fenster kamen zwei Gestalten in höchster Eile gestiegen und rutschten an der Leiter herab. Alle drei eilten herbei.
„Das war Ellens Stimme!“ sagte dabei Holm. „Und auch diejenige meiner Schwester. Drauf!“
Die drei Männer kamen im Nu herbei. Sie erblickten die miteinander Ringenden. Holm erfaßte sofort den einen und erkannte ihn.
„Ah, Herr von Tannenstein!“ rief er. „Sie sind es gerade, den wir suchen. Wir verhaften Sie im Namen des Gesetzes.“
„Noch nicht!“ rief dieser.
Er riß sich los und sprang zwischen den Bäumen davon.
Robert Bertram hatte mit dem dritten, den zu erkennen noch keine Zeit gewesen war, den Einsiedler gepackt. Dieser ließ das Gewehr, welches ihm nichts nützte, fallen und zog das Messer.
„Da, Hund!“ rief er.
Die Klinge fuhr dem einen in die Schulter. Winter kam frei und eilte dem davon springenden Freiherrn nach, augenblicklich verfolgt von dem Gestochenen.
„Ellen?“ fragte Holm.
„Max!“ antwortete sie. „Bist du getroffen?“
„Nein.“
„Oh, Gott sei Dank!“
„Wer ist denn die andere?“
„Hilda.“
„Um Gottes willen! Wie kommt Ihr hierher?“
„Das läßt sich in Kürze nicht so leicht sagen. Du hattest mit Herrn Bertram heute so viel zu flüstern. Ihr spracht von Grünbach, von dem Freiherrn. Ich hörte einige Ausdrücke, welche mich besorgt machten. Dann wart ihr fort. Es wurde fast Mitternacht und ihr kamt nicht zurück. Da hatten wir große Angst. Der Herr Leutnant von Hagenau war zu deinem Vater gekommen und bis spät geblieben. Wir beschlossen, hierherzugehen, und baten ihn um seinen Schutz, um seine Begleitung.“
„Welche Unvorsichtigkeit!“
„Du wärst jetzt tot, erschossen, wenn wir nicht gekommen wären, lieber Max.“
„So war der Herr, welcher uns half, der Leutnant?“
„Ja.“
„Wo ist er?“
„Ich weiß es nicht. Ich glaube, er ist den Fliehenden nachgeeilt.“
„Wie aber habt ihr euch hierher gefunden?“
„Wir betrachteten das Schloß von allen Seiten. Es gab nirgends Licht, als hier an diesem Fenster. Geschah etwas, so geschah es hier. Der Herr Leutnant verließ uns einen Augenblick, um zu rekognoszieren. Da kamen die beiden Männer. Sie wollten euch erschießen. Der Leutnant stieg dort an der Leiter empor. Sie sahen es und der eine legte auf ihn an. Hilda ergriff das Gewehr und lenkte den Schuß ab. Sie hat ihm das Leben gerettet.“
„Wie tapfer! Ihr habt gar nicht gewußt, in welche Gefahr ihr euch begabt, als ihr hierhergingt. Aber wir dürfen jetzt nicht plaudern. Wir müssen uns Simeons und dieses Mädchens versichern. Kommen Sie, Herr Bertram!“
„Um Gottes willen!“ sagte Ellen. „Ist's gefährlich?“
„Gar nicht. Begebt euch vorn nach dem Haupteingang. Wir lassen euch dann ein.“
„Geht ihr nicht mit?“
„Nein. Wir steigen gleich zur Leiter empor. Da haben wir sie augenblicklich.“
Er eilte mit Robert zur Leiter, stieg in das Zimmer, schob den Riegel zurück und trat in das erleuchtete Gemach. Da saß der Goldarbeiter, welcher die beiden jungen Leute ganz erschrocken anstarrte.
„Guten Morgen, Herr Simeon!“ sagte Holm. „Wo haben Sie Fräulein von Tannenstein?“
„Sie verließ vor einer Minute das Zimmer.“
„Wir werden sie finden. Zunächst aber wollen wir uns Ihrer lieben Person versichern.“
„Oho! Was fällt Ihnen ein! Sind Sie etwa Polizist?“
„In diesem Augenblick, ja.“
„So versuchen Sie es, mich festzunehmen!“
Er riß den Revolver aus der Tasche; aber Holm hatte ihn in demselben Moment gepackt und entrang ihm die Waffe. Er war dem Alten weit überlegen und drückte ihn zu Boden. Robert machte in Eile zwei Gardinenschnüre los und dann banden sie den Gefangenen.
„Jetzt nun zu der Dame!“ sagte Holm.
Er nahm das Licht an sich. Sie verließen das Zimmer, schlossen hinter sich zu und zogen den Schlüssel ab. Sie eilten durch Bibliothek, Salon und Empfangszimmer. Alle drei Räume waren leer. Aber im Vorzimmer stand der Diener.
„Wo ist Ihre Herrin?“ fragte Holm.
„Was haben Sie nach ihr zu fragen?“ antwortete er in höhnischem Ton. „Wer sind Sie?“
„Wir sind Polizisten.“
„Beweisen Sie es!“
„Sie sind nicht der Kerl dazu, diesen Beweis von uns zu verlangen. Wo ist das Fräulein?“
„Das geht Sie nichts an.“
„Oho! Wie es in den Wald schallt, so schallt es auch wieder heraus. Sie sind unser
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