65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
abzulenken.
„Danke! Nein, es ist alles in Ordnung“, sagte sie.
Glücklicherweise aber blieb nun ihr Auge auf dem weißen Faden haften. Dies gab ihm neuen Mut. Er sah sie so schön und einladend vor sich sitzen, und er nahm sich vor, jetzt endlich einmal zu reden. Er begann wieder:
„Also ich setze den Fall, ich – wäre – verliebt!“
Da fing ihr Blick blitzschnell den seinen und sie fragte:
„Ist das wahr?“
„Warum nicht?“
„Weil ich mir gar nicht vorstellen kann, daß Sie verliebt sein können, nämlich was man so verliebt nennt.“
„Wie soll ich denn sein können?“
„Ich kann mir denken, daß Sie eine recht tiefe, festgewurzelte, ernste Neigung im Herzen tragen können.“
„Sapperment, ja, das ist's; das ist das Richtige. So eine Neigung steckt bereits tief drin.“
„Ist das wahr?“
Dabei traf ihn abermals ihr Auge, und da war es eben wieder um ihn geschehen.
„Wahr? Hm! Ich denke, ich habe nur den Fall gesetzt!“
„Ach so!“
„Ja. Also ich hätte eine tiefe, ernste Neigung im Herzen, so etwa zu – zu – zu –“
Da sie ihm erwartungsvoll in das Gesicht sah, so war es ihm unmöglich, das zu sagen, was er hatte sagen wollen. Er fuhr also einlenkend fort:
„So etwa zu – zu irgendeiner. Verstehen Sie?“
„Ja.“
Und da sie nun nicht zu ihm aufblickte, so hatte er die ungeheure Verwegenheit, hinzuzusetzen:
„Oder zum Beispiel zu Ihnen selbst!“
Da erhob sie den Kopf, sah ihm mit klarem Blick in die Augen und fragte:
„Zu mir? Wäre das möglich?“
„Warum nicht?“ antwortete er, wie ein Kind errötend. „Sind Sie denn schlimmer wie so irgendeine?“
„Das will ich doch nicht befürchten!“
„Ich auch nicht!“
Da lachte sie so hell auf, daß er sie erschrocken anblickte. Er ahnte nicht, daß er mit seinen letzten drei Worten eine ungeheure Dummheit gesagt hatte. Sie nickte ihm aber ermunternd zu und bat:
„Also bleiben wir bei dem erwähnten Fall, daß Sie eine so tiefe Neigung zu mir hegten.“
„Ja. Nun denken Sie sich einmal, daß Sie nein sagten!“
„Was wäre da wohl?“
Dieses Mal hielt sie den Blick fest auf ihre Arbeit gebannt, um ihn ja nicht irrezumachen.
„Was da wäre?“ fragte er. „Na, da wäre – da hätte – da, Donnerwetter, da möchte ich gar nicht mehr leben, da wäre es aus, rein alle!“
Er war erregt. In diesem Augenblick hatte er sich im Geist in die Lage versetzt, daß sie ihm einen Korb geben würde, und das brachte ihn so in Rage, daß ihm jetzt alles gleich war. Er wollte nun endlich gerade von der Leber herunter reden. Aber da hob sie ihr stilles, mildes Auge zu ihm empor und sagte:
„Wäre es wirklich so schlimm?“
Und aus war es mit all' seinem Mut.
„Na, ich meinte nur so!“ sagte er.
„Sie brauchten ja auch gar keine Angst zu haben.“
„Nicht? Warum nicht?“
Da sah sie ihm mit einem unendlich aufrichtigen Lächeln in die Augen und antwortete in ruhigem Ton:
„Weil ich gar nicht nein sagen würde.“
„Nicht? Wirklich nicht?“
„Nein.“
Da riß es ihn von seinem Stuhl auf. Er fragte es nicht, sondern er rief es förmlich:
„Was denn? Was denn? Würden Sie etwa ja sagen?“
„Ja, gewiß.“
„Anna, Anna!“
„Anton!“
Sie hatten sich umfangen; sie lagen Arm in Arm, Herz an Herz, und er küßte sie und wollte gar nicht aufhören, sie zu küssen, bis sie sich endlich mit Gewalt aus seiner Umarmung wand.
„Du erdrückst mich ja“, lächelte sie.
„Mädchen, Anna, du hast mir Mut gemacht. Jetzt kann ich auf einmal reden! Jetzt kann ich küssen! Jetzt möchte ich die ganze Welt umarmen! Jetzt könnte ich alle Weiber und Mädels küssen, eine nach der anderen, von der ersten bis zur letzten, eine jede volle drei Viertelstunden lang und auch noch viel länger!“
„O bitte, bitte! Hältst du das für notwendig?“
„Nein, nein! Ich meine es nicht so. Ich denke auch, daß es doch eine sehr saure Arbeit wäre. Ich habe dich und das ist mir genug. Bist du mir denn wirklich gut gewesen?“
„Stets und von Herzen. Ich habe deine Liebe gekannt. Ich habe auch gewußt, daß es dir schwerfällt, davon zu sprechen. Darum bin ich gleich wahr und offen gewesen.“
„Schwerfällt? Da bist du freilich stark im Irrtum! Wievielmal hintereinander soll ich es dir sagen, daß ich dir gut bin? Fünf- oder zehntausendmal oder meinetwegen millionenmal?“
„Ja, nun! Nun ist der Knoten gerissen!“
„Na ja, ich will's gestehen, es war ein schlimmer Knoten. Es hat mir
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