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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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machte.
    Eines Abends um diese Zeit war der Oberst von Hellenbach nebst seiner Gemahlin zu Hof geladen. Fanny, ihre Tochter, war in das Theater gefahren, wo eine der beliebtesten Opern gegeben wurde, und es war ganz natürlich, das Robert Bertram sie begleitet hatte.
    Er war jetzt fast so viel in dem Hellenbachschen Haus wie in dem Häuschen in der Siegesstraße.
    Er als Dichter war ganz auf der Szene; Fanny aber musterte das Publikum hin und wieder durch das Opernglas. Da, während einer Gesangspause, berührte sie seinen Arm und sagte:
    „Bitte, sehen Sie einmal zweiten Rang, Seitenloge, die Dame im schwarzen Anzug!“
    „Interessieren Sie sich für sie?“ fragte er gleichgültig, ohne den Blick nach dem bezeichneten Platz zu erheben.
    „Sehr!“
    Jetzt sah er empor, zuckte aber sofort zusammen. Zwei nachtdunkle und doch glühende Augen waren mit einem Blick, der ihn schaudern ließ, auf ihn gerichtet.
    „Judith!“ sagte er.
    „Ja, es ist die Jüdin“, meinte Fanny. „Ich beobachte sie bereits seit längerer Zeit. Sie hat den Blick noch keine einzige Sekunde von uns gewendet. Selbst wenn sie ihrer Nachbarin eine hastige Bemerkung zuraunt, blickt sie nicht von uns hinweg. Man möchte sich wirklich vor ihr fürchten. Es liegt ein Haß in ihrem Blick, der zu allem fähig ist. Warum aber haßt sie mich?“
    Robert antwortete nicht. Er kannte gar wohl den Grund dieses bodenlosen Hasses.
    „Sie war es ja auch, die damals mein Pferd so scheu machte, daß es mich abwarf. Mir graut vor ihr.“
    Sie zog die Schultern empor, schüttelte sich und wendete sich nach den anderen Seite.
    Judith war mit ihrer Freundin Sarah Rubinthal in das Theater gegangen, nicht etwa weil sie es vorher beabsichtigt hatten, sondern weil sie am Fenster gestanden hatten, als Fanny mit Robert in den Wagen gestiegen waren. An Fannys Toilette war zu erkennen gewesen, daß sie das Theater besuchen werde.
    Nun saß die schöne, vor Liebe und Eifersucht glühende Jüdin in ihrer Loge und verwendete keinen Blick von den beiden. Zwar war Roberts Aufmerksamkeit während der Vorstellung auf die Bühne gerichtet, aber vor dem Beginn und in den Pausen beschäftigte er sich doch mit Fanny. Und da war aus jeder seiner Mienen und aus jedem seiner Blicke zu lesen, daß seine ganze Seele in der wunderbar schönen Nachbarin aufgehe.
    Judith beobachtete das und raunte ihrer Nachbarin die wütendsten Bemerkungen zu.
    „Sieh diesen Blick!“ sagte sie. „Er glüht vor Liebe. Er könnte tausendmal für sie sterben, aber nicht eine Minute für mich leben. Oh, dieses Mädchen, wie hasse, hasse, hasse ich es!“
    Und dann wieder:
    „Jetzt schaut sie ihn an! Sie beachtet ihn, ohne daß er es bemerkt! Sie studiert sein Gesicht, sein schönes Gesicht mit den reinen, edlen, geistreichen, schwermütigen Zügen. Wie ihr Auge strahlt! Wie ihr Mund lächelt! Wie entzückt und in ihn versunken sie ist! Jetzt dreht er sich zu ihr. Sein Auge ertappt das ihrige. Sie errötet, er auch. Sie wenden sich wieder ab, aber mit welchen Gesichtern! Auf dem ihrigen strahlen zehn Himmel und auf dem seinigen zehn Seligkeiten.“
    „Sieh doch nicht hin!“ meinte die Buckelige.
    „Nicht hinsehen? Bist du toll! Muß ich nicht hinsehen immer und immer wieder? Ist nicht meine Seele gebunden und gekettet an seine Seele und mein Leben an sein Leben! Hätte sie doch damals auf der Straße den Hals gebrochen! Aber sie wird ihn noch brechen, sie soll und muß ihn noch brechen!“
    „Willst du ihr ihn brechen?“
    „Wenn ich kann, so tue ich es! Sie sieht auch uns. Sie belorgnettiert mich. Jetzt macht sie ihn auf mich aufmerksam. Er sieht herauf. Er erkennt mich. Sein Blick ist wie Eis. Er dreht sich gleichgültig ab. Und sie? Gott meiner Väter, sie schaudert vor mir! Ist sie etwa reicher als ich? Ist sie schöner? Schöner – ah, schöner! Das ist der Gedanke; das ist er! Und da sie vor mir schaudert, soll man auch vor ihr schaudern! Ich wollte es nicht tun. Nun aber tue ich es!“
    Sie stand auf.
    „Wohin?“ fragte die Freundin.
    „Nach Hause. Ich habe Kopfweh. Bleib du nur hier!“
    Sie drückte sie, die sich auch erheben wollte, nieder und entfernte sich.
    Sie bewohnte das elterliche Haus jetzt ganz allein. Man hatte auch ihre Mutter als Mitschuldige eingezogen.
    In dem alten, vereinsamten Haus angekommen, kleidete sie sich vollständig um. Sie legte einen alten Frauenanzug an, den ihr Vater für wenig Geld gekauft hatte, und hüllte die ganze Gestalt samt dem Gesicht in ein

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