66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
gewesen sein.“
„Ist er denn so wild?“
„Wild ist er halt schon, stark und gewandt wie ein Luchs. Sie haben ihn zum Tier gemacht, und nun kann ihn auch keiner nicht zähmen als nur die Paula allein.“
„Wer ist das?“
„Dem Müllern seine Tochter, sein einziges Kind. Er ist der reichste Mann im ganzen Kreis, und sie ist seine einzige Erbin, ein Dirndl wie Schneeglanz und helles Morgenrot. Ich hab fast noch niemals kein so schöns und liebliches Maderl geschaut. Wer sie anblickt, der muß ihr gut sein, und wann im Frühjahr die Badeherrschaften kommen und droben in der Stadt wohnen, so hat der Müllern hier herunten in seiner Mühl ein Resteranterazionen eingericht, was eigentlich eine Schankwirtschaften ist, und nachher kommen die Herrschafterle allzutag herab, um hier zu essen und zu trinken, eigentlich aber nur, um die Paula anzuschaun.“
„So ist sie wirklich so hübsch?“
„So hübsch, daß kein Malerkünstler ihr Bild so fertigbringen könnt, wie sie wirklich ist. Allhier herum wird sie oft auch die Eichkatzerl-Paula genannt, weil – na, horcht! Da ist sie ja!“
Aus den Wald heraus, dessen Tannen sich jetzt mit Buchen und Eichen mischten, erklang eine milde, liebliche Frauenstimme:
„Die Eichkatzerln schaun mir
So freundlich ins G'sicht,
Und die Eichkatzerln lieb ich,
Doch die Bubn lieb ich nicht.“
„Das ist die Paula?“ fragte die Dichterin.
„Ja. Und wann du sie sehn willst mit ihren Katzerln, so komm mit; aber tu sacht und stat, daß du die Tierlern nicht verscheuchst!“
Er drang in den Wald ein, und die beiden folgten ihm leise und vorsichtig. Sie waren nur wenige Schritte gegangen, links abseits vom Weg, so hörten sie dieselbe klare, reine, sympathische Stimme:
„Die Eichkatzerln klettern
Zum Baume hinan,
Das Männerl mit dem Weiberl
Und das Weiberl mit dem Mann.“
Ein leises, süßes Zirpen ließ sich hören, wie wenn man ein Lieblingstier mit zärtlichen Lippen lockt, und dann ertönte von derselben Stimme und in derselben Melodie:
„War ich so ein Katzerl
Herinnen im Wald,
Ich sucht mir ein Männerl
Und fänd's wohl auch bald.“
Dann hörte man wieder den lockenden Ton, und als die drei weiterschlichen, hörten sie die Stimme sprechen:
„Hanserl, willst gleich schaun, daß du zurückgehst! Das Buchheckerl ist für die Gretl, aber nicht für dich. Und du, Liesbetherl, komm halt auch her! Hier hast ein Zuckerküchle. Du war doch krank in letzter Woch. Hast im Winter hungern müssen, armes Schöpferl! Jetzt nun aber wirst bald wieder gesund und lustig werden, wann ich dir Arzneien bring und ein hübsch Liedel dazu.“
Jetzt hatte die drei den Saum einer kleinen Lichtung erreicht, und es bot sich ihnen ein Anblick, wie man ihn wohl nur in einem lieblichen Kindermärchen beschrieben finden kann.
Es gab da mehrere nahe beieinanderliegende und von weichem Moos überzogene Felsenblöcke. Auf einem derselben, der hart am Stamm einer Buche lag, saß ein vielleicht sechszehnjähriges Mädchen, in die Landestracht gekleidet, aber von einer Schönheit, wie man sie fast nur auf Gemälden finden kann.
Die Wunderliebliche hatte ein Bein über das andere gelegt, so daß das kurze Röckchen sich noch höher als gewöhnlich emporgezogen hatte. Über den kleinen, kinderzarten Füßchen, welches in niedrigen Schuhen steckte, legten sich weißglänzende Strümpfe. Oben umschloß eine Taille, welche man mit den Fingern umspannen konnte, obgleich sie aus vollen, runden Hüften herauswuchs, ein rotsamtenes, tief ausgeschnittenes Mieder, von der weißen Krause des Hemdes umsäumt und von breiten, silbernen Schlössern zusammengehalten. Diese Schlösser bildeten den einzigen Metallschmuck, welchen das reizende Mädchen trug. Die glänzenden Schultern waren entblößt, da Paula das Jäckchen ab- und neben sich gelegt hatte, die schön geformten Arme ebenso. Das rosige Gesicht war von einer unbeschreiblichen Lieblichkeit, und die zwei starken Zöpfe, in die das reiche Haar geflochten war, hatte Paula nach vorn genommen, so daß sie weit über die Brust herabhingen.
Dieses Bild jugendlicher Anmut und Schönheit wurde belebt durch eine wunderhübsche und seltene Staffage. Nämlich rund auf den Steinen hockten in den possierlichen Stellungen eine ganze Zahl roter und schwarzer Eichhörnchen. Eins saß in dem kleinen Gebirgshütchen, welches am Boden lag, wie ein Hühnchen im Ei und knabberte an einer Nuß. Ein anders, das ‚kranke Liesbetherl‘ war in das Jäckchen warm und
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