66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
sehnigen Waden, so daß die Fußknöchel und die wetterbraunen Knie nackt frei blieben. Die Hosen waren alt und vielfach geflickt, ebenso die lodene Joppe. Eine Weste trug er nicht, dafür einen breiten Gürtel, in welchem die Buchstaben J. und B. eingestickt waren. Das graue Wollhemd stand auf der Brust offen und ließ auch den Hals frei, denn ein Tuch um den letzteren schien der Alte für einen sehr überflüssigen Luxus zu halten.
Neben der Bank lag ein alter Rucksack, welcher mit knolligen Gegenständen gefüllt zu sein schien. Den Hut hatte der Alte auf seinen Gebirgsstock gestülpt und mit demselben an die Wand gelehnt. Dieser Hut war ein wahres Prachtstück von Kopfbedeckung. Er hatte seit bereits zwei Ewigkeiten die Krempe verloren; ein Löchlein gab es am anderen, natürlich vor Alter, so daß er eigentlich einem Sieb oder Durchschlag glich; durch diese vielen Löcher aber hatte der praktische Alte allerlei Alpenkräuter geschlungen, Aretia, Prímula, Soldanella, Saxífraga und andere, so daß der Hut einem Blumentopf glich, welcher dem Studium der Alpenflora als Anschauungsmittel dienen sollte.
Dieser Alte hieß eigentlich Joseph Brendel. Weil er aber allerlei Wurzelwerk in den Bergen sammelte, von dessen Verkauf er lebte, und die Abkürzung von Joseph Sepp lautet, so wurde er allüberall nur der Wurzelsepp genannt. Er war beliebt nah und fern. Er kam sogar zuweilen hinein in die schöne Hauptstadt München, wo die Apotheker ihn seiner seltsamen Wurzeln und seines ehrlichen, spaßigen Wesens wegen gern willkommen hießen.
Und die schöne Sennerin? Diese hieß eigentlich Magdalena Berghuber. Sie war ein armes Waisenkind und diente dem reichsten Bauern der Umgegend als Sennerin. Das Gut ihres Herrn lag an einer Mure, das heißt an einem Erdhügel, welcher aus den Erdmassen entstanden ist, welche von dem Wasser in das Tal herniedergespült worden sind. Aus diesem Grund wurde sie allgemein nur die Muren-Leni genannt. Der Wurzelsepp war ihr Pate. Beide hielten große Stücke aufeinander und taten einander schier mehr zuliebe, als ihre beiderseitige Armut zu erlauben schien.
Nach Beendigung des Liedes hatte Sepp die Zither neben sich gelehnt, griff in die Tasche und sagte:
„So, da habn wir oans gesungen,
Das hat schön geklungen.
Ein ander Mal tun wir wieder singen,
Und das soll noch schöner klingen.
Jetzt nun will ich mir einen Tobak in die Pfeifen stopfen; dann nehm ich meine Kraxen und mache mich halt auf die Haxen.“
„Wie?“ sagte sie. „Pat' Sepp, du willst heute noch abi gehn?“
„Was sonst denn?“ lachte er. „Wann ich halt bei dir blieb, Leni, würden die Leut bald sagen, ich hätt mich in dich verliebt, und das tät da meiner alten Zither weh; die ist die einzige Liebste, die ich noch habe.“
„Geh! Mach kein solchen Spaß! Der Nachmittag ist vorbei, und du bleibst. Ich mach dir halt ein schönes Ei auf Butter und geb dir auch ein Käs und Brot dazu –“
„O Jerum ja!“ fiel Sepp schnell ein. „Und das alles sparst du dir von dem eigenen Mund ab; denn du bist viel zu ehrlich, um das Ei mit Butter und den Käs mit Brot von dem zu nehmen, was deinem Bauern gehört. Gelt, Leni, ich hab recht?“
„Recht hast, Sepp. Aber mein Vorrat reicht. Und was das Ei betrifft, so hat mir die Bauersfrau eine Henne geschenkt und mit herauf gegeben; ich kann also mit den Eiern, welche die Pute mir legt, machen, was ich will.“
„Legt sie auch die Butter und den Käs dazu?“
„Schweig, Pat', und sei nicht so ungut. Ich kann dich doch nicht so spät noch den schlimmen Steg hinunterkraxeln lassen. Wenn dir etwas geschehen sollt, so würde man mir die Schuld geben, und ich könnte es gar nimmer verwinden.“
„Ich weiß, weiß! Du bist ein herzig gutes Dirndl und tust deinem alten Paten gern alles Liebs und Schöns. Der Herrgott wird dir's vergelten. Heut aber muß ich doch noch hinunter. Weißt, der Wirt braucht Enzianwurzeln für einen neuen Schnaps. Die muß ich ihm noch heut bringen. Da gibts eine Abendsuppe und ein Bett und auch ein Geld. Wenigstens zwanzig Kreuzer zahlt er mir aus. Du siehst also, daß ich heut noch hinunter muß. O weh! Da schau her! Was für ein Unglück ich hab. Die Pfeif ist da, aber in dem Beutel ist nix mehr. Ich hab halt geglaubt, daß noch ein Rest darin sei. Jetzt muß ich halt von meinem Hut rauchen.“
Er griff nach dem Hut, um die dürren Pflanzen von ihm zu nehmen und in die Pfeife zu stopfen.
„Halt!“ sagte die Leni. „Ich will mal sehen, ob ich
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