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Ihr werdet immer meine Freunde sein, nicht wahr? Ihr beide. Auch wenn wir mit der Schule fertig sind.«
Jetzt erkannte ich, was ihn so fertig machte. Er sah sich in den Hintergrund gedrängt, während Adama und ich uns gleichzeitig näher kamen. Bevor ich Iwase kennen lernte, war er nur ein einfacher, unterdurchschnittlicher Schüler gewesen, ein weichherziger Junge aus dem Fußballteam, der auf einige der hässlichsten Mädchen der Schule stand. Nachdem wir Freunde geworden waren, begann er die Beat-Dichter zu lesen und Coltrane zu hören, lief nicht mehr hinter Fettärschen her und trat aus dem Fußballteam aus. Aber ich war nicht derjenige, der sein Leben verändert hatte; ich war lediglich derjenige, der ihm Dichtung und Jazz und Pop Art nahe gebracht hatte, und diese Dinge veränderten ihn. Er geriet nur deshalb unter ihren Einfluss, weil es nichts gab, was das verhindern konnte, und inzwischen wusste er viel mehr über Jazz und Pop und Underground-Theater als ich. Er war immer mein bester Partner gewesen, mein Komplize. Aber seit Adama sich uns angeschlossen hatte, musste er wohl denken, dass seine eigene Stellung unsicher wurde und dass er nur noch dazu taugte, uns Milch mit Kaffeegeschmack zu spendieren.
Ihr werdet immer meine besten Freunde sein, nicht wahr? Er wirkte wirklich einsam, als er das sagte. So hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt, seit dem ersten Schuljahr nicht mehr. Damals hatten wir einen Lehrer für Klassisches Japanisch mit einem langen, schmalen Gesicht, der Shimizu hieß. Shimizu war ein ekelhafter Drecksack, der uns immer mit dem Lineal auf den Kopf schlug, wenn wir unsere Prüfungen vergeigt hatten: ein Hieb für siebzig Punkte, zwei für sechzig, drei für fünfzig, vier für vierzig und so weiter. Iwase und ein paar andere Jungs kriegten immer jeder drei oder vier Schläge. Gegen Ende unseres zweiten Semesters, als er unsere Klassenarbeiten zurückgab, sagte Shimizu: »Das Jahr ist fast vorüber. Wir werden mit dem Arbeitsbuch nie fertig, wenn ich die meiste Zeit damit verbringen muss, Leute zu schlagen. Von jetzt an gebe ich niemandem mehr als drei Schläge.« Die meisten von uns waren froh, das zu hören, aber die schlechtesten Schüler erstarrten sozusagen. Shimizu gab Iwase seine Arbeit und sagte: »Glück gehabt, was, Iwase?« Das bedeutete, dass er vierzig Punkte oder weniger hatte, und wir alle lachten. Iwase senkte nur den Kopf und lächelte sein verschämtes Lächeln, aber als ich sah, wie einsam er danach wirkte, wurde mir klar, dass er lieber Schläge auf den Kopf gekriegt hätte, als ignoriert zu werden.
»Oh ... ist Otaki nicht hier?«
Die düstere Atmosphäre, die Iwase heraufbeschworen hatte, wurde von einer weiblichen Stimme durchbrochen. Zwei Mädchen in der Uniform der Handelsschule - Gorillas im Vergleich zu Kazuko Matsui, aber eine Million Mal besser als überhaupt keine Bräute - erschienen im Türrahmen. Sie schauten Adama an und kicherten. Es war ganz praktisch, wenn man in solchen Situationen Adama dabei hatte. Die Mädchen fingen an zu kichern, wenn sie gutaussehende Jungs trafen. Es schwächte ihre Abwehr.
So konnte man dann so etwas sagen wie: »Hallo! Ich bin Yazaki von der Nördlichen, das ist Yamada und das Iwase. Ihr seid von der Handelsschule? Kommt doch rein. Was habt ihr da in der Tüte? Hm? Reiscracker? Macht sie auf. Hey, wir sind doch alle Genossen, oder?«
Sie hießen Teiko und Fumiyo - geradewegs aus einem Melodrama über Fabrikmädchen in der Vorkriegszeit. Ich quatschte mit ihnen über Eldridge Cleaver und Daniel Cohn-Bendit und Frantz Fanon, wies auf die Ähnlichkeiten zwischen Machiavellis Der Fürst und der Kaiserherrschaft im Japan der Nachkriegszeit hin und diskutierte darüber, ob Che Guevaras Aktivitäten in Bolivien die grundlegenden Ziele des Anarchismus verkörperten. Das ist natürlich alles gelogen. Ich mampfte Reiscracker, klimperte Simon and Garfunkeis April Come She Will auf der Gitarre und erklärte, wie ungesund es für Oberschülerinnen sei, Jungfrau zu bleiben, und dass alle Lehrer an der Nördlichen Oberschule Otaki und Narushima wegen ihres niedrigen IQ aufgegeben hätten. Die beiden Fabrikmädchen erweckten allerdings ganz den Eindruck, die Geliebten der Politicos zu sein, sie passten zu dem Futon und den Kissen und den Papiertaschentüchern. Ich hatte schon gehört, dass Otaki und Narushima durch die Gegend liefen und Bemerkungen fallen ließen, dass die Mitgliedschaft in ihrem Komitee ein sicherer Weg sei
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