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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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Futon, Papiertaschentücher und Mädchen von der Handelsschule.

    Iwase kam ungefähr zehn Minuten später, schweißüberströmt, und brachte drei Pappbecher voll Milch mit Kaffeegeschmack. Während ich meine Milch trank, wünschte ich, ich hätte ein Brötchen dazu. Iwase nahm die billige Gitarre und begann, Sometimes I Feel Like a Motherless Child zu klampfen. Seit Elvis wollte kein Jugendlicher in diesem Land mehr ohne eine Gitarre auskommen. Wer sich keine leisten konnte, begnügte sich mit einer Ukulele; übrigens waren nur deshalb eine kurze Zeit lang alle verrückt auf hawaiianische Musik. Elektrogitarren wurden der Hit, als ich auf der Mittelschule war. Tesco-Gitarren, Guyatone-Verstärker, Pearl-Drums. Instrumente von Herstellern wie Gibson und Fender und Music Man und Roland und Paiste existierten nur in Zeitschriften. Als die Ventures-Manie erst einmal vorbei war und die Ära der Beatles und anderer gesangsorientierter Gruppen anbrach, wollte jeder eine Halb-Akustik wie John Lennons Rickenbacker. Dann, als Protestsongs und Demonstrationen aktuell wurden, brachte Yamaha eine neue und erschwingliche Version der Folk-Gitarre heraus, und alle rannten los, um so eine zu kaufen. Die Gitarre hier bei den Politicos war allerdings keine Yamaha, sondern eine Yamasa, ein Name, der nach einem Hersteller von Tütensuppen oder etwas Ähnlichem klang.
    Nachdem er mit Motherless Child fertig war, spielte Iwase auf der Yamasa Takeda Lullaby. Wahrscheinlich hatte er diese Titel ausgewählt, weil man dafür nicht mehr als zwei oder drei Akkorde brauchte, aber es waren beides traurige Melodien, und sie mussten ihn in eine trübsinnige Stimmung versetzt haben, denn jetzt schnitt er ein ziemlich deprimierendes Thema an.
    »Ihr beiden wollt auf die Uni, wenn ihr mit der Schule fertig seid, oder?«
    Zu der Zeit wollte Adama immer noch auf die medizinische Hochschule an der Staatlichen Universität; er wusste noch nicht, dass sich das als unerfüllbarer Traum herausstellen sollte. Ich weiß nicht mehr genau, was ich tun wollte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir nicht übermäßig viele Gedanken darüber machte. Ich war schon damals ein Mensch, der nicht allzu viel Zeit damit verschwendete, über die Zukunft nachzugrübeln. Nicht, dass mir der kometenhafte Abstieg meiner Noten gleichgültig war, ich flippte deswegen sogar ziemlich aus. Der Gedanke daran, als Versager zu enden, jagte mir Angst ein. Und das trotz der Tatsache, dass Versager 1969 eine Menge Spaß hatten: Ein Oberschüler hatte ein Buch herausgebracht, in dem er die ganze Vorstellung von der Ausbildung an den Universitäten verwarf, in Zeitschriften waren japanische Hippies abgebildet, die nackte Frauen mit Leuchtfarbe bemalten, und es gab immer ein paar hübsche Miezen, die an Demonstrationen und Protestmärschen teilnahmen. Aber es war klar, dass das nicht immer so weitergehen konnte. Auf lange Sicht sind es die erfolgreichen Kerle, die die Frauen kriegen. Ich rede nicht von Heirat oder so etwas; ich rede über Frauen im Allgemeinen und über viele davon. Wenn ein junger Mann keine Garantie dafür hat, dass er vom schönen Geschlecht einen schönen Anteil abkriegt, dann kann er nicht weiterleben.
    »Was hast du vor, Iwase?«, fragte Adama. Iwase war in einer Klasse, die vorwiegend aus hoffnungslosen Fällen bestand.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich schätze, ich gehe nicht auf die Uni. Ken-san, was ist mit dir?«
    »Ich weiß auch noch nicht. Ich könnte auf die Kunsthochschule gehen, aber ... nein, vielleicht studiere ich Literatur ... Außer, also, ich weiß nicht. Ich hab’ mich noch nicht entschieden.«
    »Du hast Glück«, sagte Iwase. Er schlug einen a-Moll-Akkord auf der Gitarre an. »Du hast eine Menge Talent. Adama hat auch noch Grips. Ich hab nichts.«
    Ich nahm an, es hatte mit dem a-Moll -Akkord zu tun, dass er so trübsinnig war, also nahm ich ihm die Gitarre ab und begann ein G zu spielen.
    »Ach komm, mach dich locker«, sagte Adama zwischen Schlucken seiner Milch mit Kaffeegeschmack. »Schau dir nur mal John Lennon an. Du hast doch gelesen, was er in Music Life gesagt hat, oder? Er hat gesagt, dass bei ihm nichts lief, als er ein Kind war. Du weißt doch noch gar nicht, ob du Talent hast oder nicht.«
    Iwase schaute zu Boden und lächelte, so als sei er gerührt über Adamas Versuch, ihn aufzuheitern, und als sei es ihm peinlich. Dann schüttelte er den Kopf.
    »Glaubt mir, ich weiß es. Ich kann es spüren. Aber das macht nichts.

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